Die verborgene Seite des Mondes
schon klar.« In Wahrheit wusste Simon nicht, wie seine Zukunft aussehen sollte, aber Selbstmitleid machte alles nur schlimmer. Das war eine der Lektionen, die er schon vor langer Zeit gelernt hatte.
Julia hob die Hand und berührte vorsichtig sein Gesicht. Die Be rührung tat ihm weh, aber er sagte nichts. Den ganzen Nachmittag hatte er sich hundeelend gefühlt und seine Gedanken waren nicht zur Ruhe gekommen. Doch nun, da Julia bei ihm war, fühlte er sich gleich besser.
Später lagen sie in der Dunkelheit nebeneinander und Simon ver fluchte seine zugeschwollene Nase, weil er durch den Mund atmen musste und sein Gaumen völlig ausgetrocknet war. An Küsse war nicht zu denken und daran, Julia in den Arm zu nehmen, auch nicht. Es tat einfach zu sehr weh.
Simon war schon halb eingeschlafen, als er merkte, dass Julia sich aufs Bett kniete und zu dem kleinen Fenster über dem Tisch beugte. Es zeigte auf die Beifußwüste hinter der Ranch und er ahnte, was Ju lia neugierig gemacht hatte. Dieses Geräusch, das gleichmäßige Schleifen, hörte er schon seit einigen Nächten. Und er wusste auch, woher es rührte.
»Was sind das für Lichter?«, fragte sie. »Und woher kommt dieses Geräusch?«
»Das sind die L-eute von der Goldmine. Sie machen Probebohrun gen.«
»Probebohrungen? Um die Zeit?«
»Ja, Tag und Nacht.«
»Sie sind so nah. Das ist unheimlich. Granny muss das Geräusch in ihrem Schlafzimmer auch hören.«
»Sie hört es«, sagte er. »Es raubt ihr den Schlaf und bringt sie um den Verstand. Das Erste, was sie am Morgen sieht, wenn sie aus ih rem Schlafzimmerfenster schaut, ist ein Bohrturm.«
Simon seufzte. Er stand auf, um einen Schluck Wasser zu trinken, denn seine Lippen und seine Kehle waren ausgedörrt. Dann streck te er sich wieder auf der Liege aus und versuchte eine Stellung zu finden, in der der Schmerz erträglich war. »Ich glaube, ich brauche jetzt etwas Schlaf. Versuch du auch zu schlafen, okay?«
»Ich kann nicht, Simon.« Julia legte sich neben ihn auf die Seite und sagte: »Grandma hat mir erzählt, warum Jason so ausflippt. Er will, dass meine Großeltern die Ranch an die Goldmine verkaufen.«
»Ich weiß.«
»Du wusstest das?«
»Ich konnte es mir zusammenreimen.«
»Jason befürchtet, dass du und ich, dass wir . . .«
». . . heiraten und viele K-K-Kinder kriegen und die Ranch bewirt schaften, bis wir so alt sind wie Ada und Boyd«, vollendete Simon den Satz.
»Ja. So ungefähr.«
Simon drehte sich zu ihr. »Ich hätte nichts dagegen.«
»Aber das ist . . .«
»Nur Spinnerei, ich weiß.«
Als Julia daraufhin nichts erwiderte, sagte er: »Schlaf jetzt, okay? Versuch, nicht weiter darüber nachzudenken. Alles kommt so, wie es kommen muss.«
Schon bald hörte Simon Julias gleichmäßigen Atem. Sie war schnell eingeschlafen und er wacher als je zuvor. Sein Körper poch te vor Schmerz. Und obwohl Simon wusste, dass Jason keine Ruhe geben würde, fühlte er sich auf eigenartige Weise glücklich.
23.
U nbarmherzig heiß brannte die Sonne vom Himmel, als Ada und Boyd am Freitagmorgen mit dem blauen Jeep die Ranch verließen, um am Waffentestgelände bei Las Vegas gegen die für Anfang Juli angesetzte Zündung von »Divine Strake« zu protestieren.
Ada brauchte Simon keine Anweisungen zu geben, er kannte die Ranch und wusste, was zu tun war, sollte irgendetwas nicht seinen gewohnten Gang gehen. Die alte Frau hatte versichert, dass Frank am Abend kommen und im Trailer übernachten würde, falls Jason neuen Ärger plante. Außerdem sollte er sich um Tommy kümmern, denn der Junge kannte Frank, seit er klein war, und akzeptierte ihn als Ersatz für seine Großeltern, wenn die mal länger wegblieben.
Frank anzurufen, das war Adas Art von Verantwortung. Ein Teil von Julia würde das nie verstehen, aber der andere Teil tat es. Wenn die Umstände anders gewesen wären, hätte sie mit Simon und ihren Großeltern am Friedenscamp teilgenommen und gegen die Zün dung der Bombe auf Indianerland protestiert.
Sie winkten dem Jeep, bis er nicht mehr zu sehen war. Tommy saß bereits in seinem Truck und trotz seiner Behinderung spürte er mit seinem sechsten Sinn, dass seine Großeltern für längere Zeit weg fuhren. Er wimmerte, klagte und schaukelte wild. Sein »M-ah-a argh« hallte über den Hof.
Simon versuchte, ihn zu beruhigen, und schaffte das schließlich auch. Zusammen mit Julia brachte er dem Kälbchen die Flasche, an schließend fütterten sie die Kühe. Die Tiere hoben neugierig
Weitere Kostenlose Bücher