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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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Körper und die Wirbelsäule hinunter. Mir brach der Schweiß aus. Zusätzlich zu den offenen Fenstern schaltete ich die Klimaanlage ein. Trotzdem schwitzte ich. Als ich in den Rückspiegel schaute, sah ich den leeren Sitz, wo das Baby gelegen hatte. Nur eine hauchdünne Erdschicht und ein einziges feines hellgrünes Moosfädchen waren zurückgeblieben.
    Ich stellte das Radio an und drehte daran herum, bis ich auf laute, vibrierende Musik stieß. Zu viele Becken und eine Stimme ohne Worte, die mich an Natalyas Band erinnerte. Ich fuhr schneller, raste über die Brücke und über Kreuzungen, ohne auf rote oder gelbe Ampeln zu achten. Ich musste in mein blaues Zimmer. Ich musste mich hinlegen, die Augen schließen und schlafen. Eine Woche lang würde ich nicht herauskommen, wenn überhaupt je wieder.
    Als ich mit quietschenden Reifen vor dem Haus hielt, stand ich Stoßstange an Stoßstange mit Natalyas Auto. Der Kofferraum war offen. Kartons und Koffer stapelten sich auf dem Gehweg. Es war schwer festzustellen, ob sie gerade ankam oder ging. Leise stieg ich aus, in der Hoffnung, mich in mein blaues Zimmer flüchten und alle Schlösser abschließen zu können, ohne dass Natalya mich bemerkte.
    Auf Zehenspitzen schlich ich durch das leere Büro und stieß am Fuße der Treppe beinahe mit Natalya zusammen. Sie machte nicht Platz. Als ich aufblickte, erkannte ich an ihrer Miene, dass mein Gesicht so erhitzt aussah, wie ich mich fühlte.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte Natalya. Ich nickte und wollte mich an ihr vorbeischieben, aber sie versperrte mir weiterhin den Weg. »Dein Gesicht ist pinker als meine Haare.«
    Sie streckte die Hand aus, fühlte mir die Stirn und fuhr zurück, als hätte sie sich verbrannt. Ich drängte mich an ihr vorbei, stolperte jedoch und stürzte auf die unterste Stufe. Ohne mir die Mühe zu machen aufzustehen, kroch ich auf allen vieren die Treppe hinauf. Natalya folgte mir. Ich sank ins blaue Zimmer und schloss die Tür hinter mir.
    Natalya klopfte an. »Ich muss weg«, meinte sie. Ihre Stimme war nur ein ängstliches Flüstern. »Unsere Tournee wurde verlängert. Ich werde mindestens sechs Monate unterwegs sein. Ich wollte nur ein paar Sachen holen und dir sagen, dass du mein Schlafzimmer benutzen kannst, wenn du möchtest.«
    Ich schwieg.
    »Ich muss wirklich weg«, beteuerte sie.
    »Dann geh doch«, stieß ich hervor.
    Etwas traf mit einem lauten Knall die Tür. Wahrscheinlich war es einer von Natalyas Schuhen, angetrieben vom Schwung ihres Fußes. »Ich habe keine Lust, deine vergammelte Leiche zu riechen, wenn ich in sechs Monaten wiederkomme«, rief sie und trat noch einmal gegen die Tür. Als Nächstes hörte ich ihre polternden Schritte auf der Treppe und das Zuschlagen der Autotür. Der Motor stotterte und sprang schließlich an. Dann war sie fort.
    Würde sie ihre Mutter anrufen?, fragte ich mich. Hatte sie bemerkt, dass das Baby weg war, und würde sie mich bei den Behörden melden? Falls sie jemanden verständigte, hoffte ich, dass es die Polizei sein würde. Ich wollte lieber im Gefängnis landen, als mich Mutter Rubina und ihrer Enttäuschung zu stellen.
     
    Ich lag auf der linken Seite auf meinem Federbett. Der harte Gummiball, der meine Brust war, wurde von der Matratze gestützt. Mein Körper fühlte sich nicht an wie mein eigener und zitterte heftig. Ich fror. Also zog ich alle Sweatshirts an, die ich besaß, und breitete die braune Decke über mich. Als das nichts half, kroch ich unter das Federbett. Dort blieb ich nach Atem ringend liegen. Mein Körper und mein Verstand waren ein Eissturm unter einer schweren Wolke. Mein Frieren verwandelte sich in einen schwarzen Wirbel, und kurz überkam mich der tröstende Gedanke, dass der Schlaf, in den ich nun fallen würde, ewig sein könnte; ein Zustand, aus dem ich womöglich niemals mehr erwachen sollte.
    In der Ferne heulte eine Sirene, wurde immer lauter und näherte sich, bis es klang, als halle das Geräusch aus Natalyas Schlafzimmer herüber. Blaulicht blitzte unter meiner Tür durch. Dann war es fort.
    Einen Moment lang war das Zimmer so schwarz und still wie der Tod. Im nächsten Moment wurde die Tür eingedrückt, und ich hörte Fußgetrappel auf der Treppe.

16.
    I ch lag, auf ein weißes, mit Stoff überzogenes Brett geschnallt, in einem Krankenwagen, ohne mich erinnern zu können, wie ich dorthin geraten war. Noch immer trug ich nur meine Unterwäsche, aber jemand hatte mir ein Krankenhausnachthemd über die Brust

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