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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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Kalzium und Eiweiß durch die mikroskopischen Löcher saugte. Seine Augen waren größer, als ich sie in Erinnerung hatte. Konzentrische Kreise und kleine weiße Dreiecke richteten sich auf mein Gesicht. Als es satt war, rutschte ihm der Gummisauger aus dem Mund, und es streckte seine Fingerchen nach meinem Gesicht aus. Ich senkte den Kopf, bis meine Nase nur noch wenige Zentimeter von seinen Händen entfernt war, und sah ihm in die Augen. Es öffnete und schloss die Finger in der leeren Luft zwischen uns und drückte fest zu.
    Noch ehe ich bemerkte, dass ich weinte, tropfte mir eine Träne vom Kinn auf die Wange des Babys. Sie rann in einer dünnen Linie in seinen Mundwinkel, so dass es überrascht die roten Lippen schürzte. Ich lachte, und die Tränen flossen schneller. Das klare Verzeihen und die bedingungslose Liebe in seinem Blick ängstigten mich. Wie Grant hatte meine Tochter mehr verdient, als ich ihr geben konnte. Ich wollte, dass sie Weißdorn in den Händen hielt, gerne lachte und furchtlos liebte. Doch ich konnte ihr das nicht vermitteln, denn ich war nicht in der Lage, sie etwas zu lehren, das mir selbst fremd war. Es war nur eine Frage der Zeit, dass ihre Vollkommenheit unter meinem vergiftenden Einfluss Schaden nahm. Das Gift würde aus meinem Körper sickern, und sie würde es mit der Bereitschaft eines hungrigen Kindes in sich aufsaugen. Bis jetzt hatte ich jedem Menschen weh getan, den ich je gekannt hatte. Und deshalb wollte ich sie unbedingt vor den Gefahren schützen, die es bedeutete, meine Tochter zu sein.
    Am nächsten Morgen würde ich sie zu Grant bringen.
    Er würde das Gute in ihr bewahren und ihr alles zeigen, was sie wissen musste. Renata hatte die Wahrheit gesagt. Grant hatte ein Recht darauf, seine Tochter kennenzulernen. Er war ihrer liebenswerten Art, ihrer Schönheit und ihrer unverbrüchlichen Treue würdig.
    Als ich das Gesicht zurückzog, waren die Augen des Babys geschlossen. Ich ließ den Korb auf dem Sofa stehen und schloss mich in mein blaues Zimmer ein.
    In jener Nacht roch ich Moos, trockenes Laub und feuchte Erde in meiner aus verputzten Wänden und Beton bestehenden Wohnung, viele Straßenzüge entfernt von grünen und wachsenden Pflanzen.
     
    Am Morgen verließ ich fluchtartig das Haus. Nachdem ich dem Baby den Rest aus dem Fläschchen vom Vortag eingeflößt hatte, trug ich das Körbchen zum Auto. Meine Tochter war wach, als wir durch die Stadt fuhren. Sie hatte die Nacht durchgeschlafen oder zumindest nicht geschrien. Ich hatte tief und traumlos geschlafen, war aber dennoch mit der überscharfen Aufmerksamkeit einer Übermüdeten aufgewacht. Mein Körper schmerzte, meine vollen Brüste brannten, und ich schwitzte trotz des kühlen Morgens. Als ich die Fenster herunterkurbelte, verzog das Baby wegen des starken Windes das Gesicht.
    Ich fuhr auf der Schnellstraße nach Norden, überquerte die Brücke und bog an der ersten Ausfahrt ab, die in einem Waldstück mündete. Ich hatte nicht die Zeit, zu einem der üppig wuchernden staatlichen Naturparks zu fahren, doch das spielte keine Rolle. Es war ein regnerischer Frühling gewesen. Also würde ich in jedem beliebigen dichten, schattigen Wald finden, was ich suchte. Ich erreichte den Parkplatz an einem Aussichtspunkt mit Blick auf die Bucht und die Golden Gate Bridge, die in der Morgensonne rostfarben leuchtete. Der Parkplatz war bereits halb besetzt von Wanderern, die ihre Stiefel anzogen und bunte Plastikflaschen mit Wasser füllten.
    Ich nahm die geflochtenen Griffe des Körbchens und ging einen Pfad entlang. Er gabelte sich erst ein und dann ein zweites Mal. Ich entschied mich für den Pfad, der am wenigsten von der Sonne beschienen wurde, und erschauderte, als ich ins kühle Unterholz hineinmarschierte. Wanderer liefen an mir vorbei und bewunderten das Baby, bis ich vom Hauptweg in eine Nebenstrecke einbog.
Wiederaufforstung, Betreten verboten,
verkündete ein Schild. Ich hob den Korb über die dünne Kette und verschwand in einem Hain aus Mammutbäumen.
    Das Baby gab keinen Mucks von sich, als ich es auf den Waldboden legte. Die kahle Stelle an seinem Hinterkopf drückte sich ins weiche Moos. Es schaute durch die Mammutbäume nach oben. Sein verschwommener Blick aus blauen Augen glitt über die hohen Stämme, die Stücke hellgrauen Himmels und vielleicht auch das, was sich dahinter verbarg. Ich zweifelte nicht an ihm.
    Ich zog ein großes, flaches Spachtelmesser aus der Gesäßtasche meiner Jeans und fing an, das

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