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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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ich Blätter in den Haaren, sagte ich mir.

5.
    D as Bad war schon eingelassen. Zu meiner Bestürzung hatte Elizabeth offenbar geahnt, dass ich schmutzig eintreffen würde.
    »Soll ich dir helfen?«, erkundigte sie sich.
    »Nein.« Die Badewanne war blendend weiß; die Seife ruhte zwischen Muscheln in einer reflektierenden Metallschale.
    »Komm runter, wenn du angezogen bist, und beeil dich.« Saubere Kleider lagen auf dem Frisiertisch aus weiß lackiertem Holz für mich bereit.
    Ich wartete, bis sie fort war, wollte die Tür abschließen und stellte fest, dass das Schloss entfernt worden war. Also klemmte ich den kleinen Stuhl vom Frisiertisch unter den Türknauf, damit ich sie wenigstens kommen hören würde. Dann zog ich mich so schnell wie möglich aus und tauchte im heißen Wasser unter.
    Als ich herunterkam, saß Elizabeth am Küchentisch. Ihr Essen war unberührt, und sie hatte eine Serviette auf dem Schoß. Ich trug die Sachen, die sie gekauft hatte, eine weiße Bluse und eine gelbe Hose. Elizabeth musterte mich. Sicher entging ihr nicht, dass mir alles viel zu groß war. Obwohl ich die Hose an der Taille heruntergerollt und die Beine hochgekrempelt hatte, saß sie noch immer so tief, dass man meine Unterhose gesehen hätte, wäre die Bluse darüber nicht so lang gewesen. Ich war einen Kopf kleiner als die meisten meiner Mitschülerinnen in der dritten Klasse und hatte allein im Juni zweieinhalb Kilo abgenommen.
    Als ich Meredith die Gründe für meinen Gewichtsverlust schilderte, nannte sie mich eine Lügnerin. Dennoch holte sie mich aus der Pflegefamilie und strengte eine offizielle Untersuchung an. Der Richter hörte sich erst meine, dann Ms. Tapleys Geschichte an.
Ich lasse mich nicht zur Verbrecherin abstempeln, nur weil ich mich weigere, nach der Pfeife einer mäkeligen Esserin zu tanzen,
hatte sie in ihrer Stellungnahme geschrieben. Der Richter verkündete, die Wahrheit liege vermutlich irgendwo in der Mitte, und sah mich dabei streng und vorwurfsvoll an. Aber er irrte sich. Ms. Tapley log. Ich hatte zwar mehr Fehler, als Meredith in einem Gerichtsformular aufführen konnte, doch Mäkeligkeit beim Essen gehörte eindeutig nicht dazu.
    Den ganzen Monat Juni hatte Ms. Tapley mich gezwungen, ihr zu beweisen, dass ich wirklich hungrig war. Es fing bereits am ersten Tag bei ihr, dem Tag nach Ende des Schuljahrs, an. Sie half mir, in meinem neuen Zimmer meine Sachen auszupacken, und fragte mich in einem Ton, der so freundlich war, dass er meinen Argwohn weckte, was denn mein Lieblingsessen sei und was ich überhaupt nicht möge. Doch der Hunger diktierte mir die Antwort: Pizza, sagte ich, und Tiefkühlerbsen. An diesem Abend stellte sie eine Schale Erbsen, noch im gefrorenen Zustand, vor mich hin und verkündete, wenn ich wirklich hungrig sei, würde ich sie essen. Ich verließ den Raum. Ms. Tapley schloss den Kühlschrank und alle Küchenschränke ab.
    Zwei Tage kam ich nur aus meinem Zimmer, um auf die Toilette zu gehen. In regelmäßigen Abständen wehten Essensgerüche unter meiner Tür hindurch, das Telefon läutete, und der Fernseher wurde lauter und leiser. Ms. Tapley sah kein einziges Mal nach mir. Nach vierundzwanzig Stunden rief ich Meredith an. Aber da ich mich so häufig über Essensentzug beschwerte, rief sie mich nicht zurück. Als ich am dritten Abend am Küchentisch erschien, schwitzte ich und zitterte am ganzen Leib. Ms. Tapley beobachtete, wie ich mit bebenden Armen versuchte, den schweren Stuhl vom Tisch wegzuziehen. Schließlich gab ich es auf und zwängte meinen mageren Körper in die Lücke zwischen Tisch und Stuhllehne. Die Erbsen in der Schale waren verschrumpelt und hart. Ms. Tapley betrachtete mich über den Rand eines Geschirrtuchs hinweg, während auf dem Herd Fett schmurgelte, und hielt mir einen Vortrag darüber, dass Pflegekinder zu viel äßen, weil sie traumatisiert seien.
Lebensmittel sind kein Trostpflaster,
stellte sie fest, als ich die erste Erbse in den Mund steckte. Sie rollte mir über die Zunge und blieb mir wie ein Kieselstein in der Kehle stecken. Ich schluckte kräftig, aß die nächste und zählte jede Erbse, die mir durch die Kehle glitt. Der Geruch nach etwas, das in Fett gebraten wurde, half mir durchzuhalten. Sechsunddreißig, siebenunddreißig. Nach der achtunddreißigsten Erbse erbrach ich alles wieder in die Schüssel.
Versuch es noch einmal,
forderte sie mich auf und wies auf die halbverdauten Erbsen. Sie setzte sich auf einen Barhocker, holte ein

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