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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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hatte.
    »Das ist eine Eigenschaft der Art
Stellaria
«, fuhr Elizabeth fort, als sie bemerkte, dass ich sie verstanden hatte. »Gänseblümchen ist ein weit gefasster Begriff, der viele verschiedene Gattungen einschließt, doch die Blumen, die wir als Gänseblümchen bezeichnen, haben normalerweise mehr Blütenblätter. Außerdem wächst jedes Blütenblatt einzeln. Es ist wichtig, den Unterschied zu kennen, weil man sonst die Bedeutung missversteht. Das Gänseblümchen symbolisiert Unschuld, was etwas völlig anderes ist als ›willkommen‹.«
    »Ich kapiere immer noch nicht, was Sie meinen«, sagte ich.
    »Hast du genug gegessen?«, fragte Elizabeth und legte die Gabel weg. Ich hatte zwar nur an den Schinkenscheiben herumgestochert, nickte aber. »Dann komm mit, und ich erkläre es dir.«
    Als Elizabeth aufstand und sich umdrehte, um die Küche zu verlassen, stopfte ich mir eine Handvoll Spaghetti in die Hosentasche und kippte die kleinen Tomaten aus der Schale in die andere. Elizabeth blieb an der Tür, die hinters Haus führte, stehen, drehte sich aber nicht um. Ich zog meine Kniestrümpfe hoch und schob mir Schmelzkäsescheiben zwischen Strumpf und Wade. Ehe ich von meinem Stuhl sprang, griff ich nach dem Löffel mit Erdnussbutter und leckte ihn langsam ab, während ich Elizabeth folgte. Vier Holzstufen brachten uns in einen tiefer liegenden großen Blumengarten.
    »Ich rede von der Sprache der Blumen«, begann Elizabeth. »Sie wurde im viktorianischen Zeitalter erfunden – wie dein Name. Vor vielen hundert Jahren verständigten sich die Menschen mit Blumen. Wenn ein Mann einer jungen Dame einen Blumenstrauß schenkte, lief sie damit nach Hause und versuchte, ihn wie eine Geheimbotschaft zu entschlüsseln. Rote Rosen bedeuten Liebe, gelbe Rosen Untreue. Deshalb musste ein Mann seine Blumen sorgfältig aussuchen.«
    »Was ist Untreue?«, fragte ich, als wir in einen Pfad einbogen, der auf beiden Seiten von gelben Rosen gesäumt wurde.
    Elizabeth hielt inne. Als ich aufblickte, stellte ich fest, dass ihre Miene traurig geworden war. Im ersten Moment befürchtete ich, etwas Falsches gesagt zu haben, doch dann wurde mir klar, dass ihre Augen auf den Rosen ruhten, nicht auf mir. Ich überlegte, wer sie wohl gepflanzt haben mochte. »Das heißt, dass man Freunde hat … im Verborgenen«, erwiderte sie schließlich. »Freunde, die man nicht haben sollte.«
    Ich verstand die Erklärung nicht, aber Elizabeth war bereits weitergegangen und wollte nach meinem Erdnussbutterlöffel greifen, um mich mitzuschleppen. Ich entzog ihr den Löffel und folgte ihr um die nächste Kurve.
    »Das hier ist Rosmarin, er steht fürs Erinnern. Ich zitiere Shakespeare, den wirst du später in der Highschool lesen. Und das ist Akelei: im Stich lassen. Stechpalme: Voraussicht. Lavendel: Argwohn.« Der Weg gabelte sich, und Elizabeth duckte sich unter einem tief hängenden Ast durch. Mit einem langsamen Lecken vertilgte ich den letzten Rest Erdnussbutter und warf den Löffel ins Gebüsch. Dann sprang ich hoch, um an dem Ast zu schaukeln. Der Baum schwankte nicht.
    »Das ist ein Mandelbaum. Seine Blüten im Frühling sind ein Symbol für Indiskretion – was das ist, brauchst du noch nicht zu wissen. Aber es ist ein wunderschöner Baum«, fügte sie hinzu. »Ich glaube, dass er sich großartig für ein Baumhaus eignet. Ich werde Carlos bitten, eines zu bauen.«
    »Wer ist Carlos?«, erkundigte ich mich und sprang runter. Da Elizabeth bereits vorausgegangen war, musste ich laufen, um sie einzuholen.
    »Der Vorarbeiter. Er wohnt in dem Wohnwagen zwischen den Werkzeugschuppen, aber du wirst ihn diese Woche noch nicht kennenlernen. Er macht mit seiner Tochter einen Campingausflug. Perla ist neun wie du. Sie wird sich um dich kümmern, wenn die Schule beginnt.«
    »Ich gehe nicht zur Schule«, widersprach ich, während ich mühsam mit ihr Schritt hielt. Elizabeth hatte die Mitte des Gartens erreicht und kehrte nun zum Haus zurück. Dabei wies sie mich weiterhin auf verschiedene Pflanzen und ihre Bedeutung hin, aber sie war zu schnell für mich. Also fing ich an zu rennen und erreichte sie, als sie gerade an den Stufen der hinteren Veranda stehen blieb. Sie kauerte sich hin, so dass wir auf Augenhöhe waren.
    »Am Montag in einer Woche fängst du mit der Schule an«, verkündete sie. »In der vierten Klasse. Und ins Haus lasse ich dich erst, wenn du mir meinen Löffel bringst.«
    Mit diesen Worten richtete sie sich auf, trat ins Haus und schloss

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