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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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auf den Boden und reckte das Gesicht zum Himmel.
    Der Mann hielt ihr die Blume hin. Im Mondlicht stellte ich fest, dass er noch jung war. Zu jung, um Alkohol zu trinken, ja, sogar zu jung, um sich nach Einbruch der Dunkelheit noch draußen herumzutreiben. Er strich mit den Blütenblättern über Kopf und Gesicht des Mädchens. »Ein Gänseblümchen für meinen Liebling«, sagte er mit gespieltem Südstaatenakzent. Er war betrunken.
    »Das ist eine Sonnenblume, Blödmann«, erwiderte das Mädchen lachend. Ihr Pferdeschwanz wurde von einem Band zusammengehalten, das zu Bluse und Faltenrock passte, und schwang hin und her. Sie nahm ihm die Blume aus der Hand und schnupperte daran. Der kleinen orangefarbenen Blüte fehlte die Hälfte der Blütenblätter. Sie entfernte die wenigen, die übrig geblieben waren, bis die Mitte einsam in der Nachtluft schwankte, und schnippte die Blume dann in den Wald.
    Der Junge ließ sich dicht neben ihr nieder. Er roch nach Schweiß, überdeckt von Drogeriemarktparfüm. Das Mädchen warf die leere Flasche ins Gebüsch und drehte sich zu ihm um. Dann zog sie die Bluse aus und warf sie hinterher. Ihr Kichern war nervös.
    Sofort fing der Junge an, begleitet von schmatzenden und schnalzenden Geräuschen, das Gesicht des Mädchens zu bearbeiten, während seine Hände sich auf ihren Brüsten befanden. Er öffnete ihr mit der Zunge den Mund, und ich dachte schon, dass sie gleich zu würgen beginnen würde. Aber stattdessen täuschte sie ein Stöhnen vor und griff ihm ins fettige Haar. Mir drehte es fast den Magen um, so dass mir ein Stück Salami hochkam und in der Kehle stecken blieb. Ich hielt mir zwar mit der einen Hand den Mund und mit der anderen die Augen zu, konnte die beiden jedoch immer noch hören. Die saugenden, fordernden Geräusche wehten so glasklar zu mir hinüber, dass sie sich anfühlten wie gierige Finger, die meine Lippen, meinen Hals und meine Brüste betasteten. Ich rollte mich fest zusammen. Unter mir knisterte mein Bett aus Laub. Das Paar küsste sich weiter.
     
    Am nächsten Morgen beobachtete ich von der Bushaltestelle aus eine hochgewachsene Frau mit einem Eimer voller weißer Tulpen, wie sie gerade einen Blumenladen aufschloss. Als das Licht anging, leuchtete in dem großen Schaufenster das Wort FLORA , geformt aus gebündelten Stengeln, auf. Ich überquerte die Straße und ging zu der Frau hinüber.
    »Die haben nicht mehr Saison«, meinte ich und wies mit dem Kopf auf die Tulpen.
    Die Frau zog die Augenbrauen hoch. »Bräute.« Sie stellte den Eimer ab und bedachte mich mit einem Blick, als warte sie darauf, dass ich etwas sagte.
    Ich dachte an das eng umschlungene Liebespaar unter meinem Heidebusch. Sie waren sogar noch dichter bei mir zu Boden gesunken, als ich befürchtet hatte, so dass ich dem Jungen aufs Schulterblatt getreten war, bevor ich sie in der Dunkelheit bemerkte. Sie hatten sich nicht bewegt. Die Lippen des Mädchens ruhten am Hals des Jungen, als sei sie mitten im Kuss bewusstlos geworden. Das Kinn des Jungen zeigte nach oben, und er presste den Hinterkopf in das wuchernde Helenenkraut, als habe es ihm tatsächlich Spaß gemacht. In Sekundenschnelle war meine Illusion von Sicherheit und Einsamkeit zerstört worden.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte die Frau und fuhr sich ungeduldig durchs stachelige graue Haar.
    Mir fiel ein, dass ich mein morgendliches Haargel vergessen hatte. Hoffentlich hatte ich keine Blätter in den Haaren. Verlegen schüttelte ich den Kopf, bevor ich antwortete. »Ist bei Ihnen vielleicht eine Stelle frei?«
    Sie musterte mich von Kopf bis Fuß. »Haben Sie Erfahrung?«
    Ich scharrte mit der Fußspitze entlang einer tiefen Rille im Beton und dachte über meine Erfahrung nach. Marmeladengläser voller Disteln und von Isolierband zusammengehaltene spitze Aloeblätter galten in der Welt des Blumenarrangierens sicher nicht viel. Ich konnte zwar einige lateinische Pflanzennamen nennen und die Historie von Pflanzengattungen herunterbeten, bezweifelte jedoch, dass sie davon beeindruckt sein würde. Wieder schüttelte ich den Kopf. »Nein.«
    »Dann, nein.« Erneut betrachtete sie mich. Ihr Blick war so eindringlich wie der von Elizabeth. Es schnürte mir die Kehle zu, und ich umklammerte meinen braunen Wolldeckenunterrock, voller Angst, er könnte sich lockern und mir über die Füße rutschen.
    »Wenn Sie meinen Laster entladen, kriegen Sie fünf Dollar«, fügte sie hinzu. Ich biss mir auf die Lippe und nickte.
    Bestimmt hatte

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