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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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die Tür hinter sich ab.

6.
    I ch steckte den Fünfdollarschein der Floristin in die Lücke unter dem Körbchen meines BH s und spazierte durch das Viertel. Da es noch früh war, hatten mehr Kneipen als Cafés geöffnet, als ich durch den Mission District schlenderte. An der Ecke 26. Straße und Alabama Street schlüpfte ich in eine mit rosafarbenem Plastik bezogene Sitznische, verbrachte zwei Stunden damit, vier Donuts zu verspeisen, und wartete darauf, dass die kleinen Läden in der Valencia Street öffneten. Um zehn zählte ich mein restliches Geld – ein Dollar und siebenundachtzig Cent – und ging los, bis ich einen Stoffladen fand, wo ich einen halben Meter weißes Satinband und eine Nadel mit einer einzigen Perle darauf kaufte.
    Als ich zum McKinley Square zurückkehrte und lautlos über das Gras zu meinem Garten schlich, war es später Vormittag. Ich hatte schon befürchtet, das Pärchen könnte noch immer auf meinen Blumen herumliegen, aber die beiden waren fort. Lediglich der Abdruck, den der Rücken des Jungen in meinem Helenenkraut hinterlassen hatte, und die Tequilaflasche, die aus einem dichten Busch ragte, waren zurückgeblieben.
    Ich hatte nur eine Chance. Mir war klar, dass die Floristin eine Mitarbeiterin brauchte; ihr Gesicht war so bleich und faltig gewesen wie das von Elizabeth in den Wochen vor der Weinlese. Wenn ich sie von meinen Fähigkeiten überzeugen könnte, würde sie mich sicher einstellen. Mit dem so verdienten Geld würde ich mir ein Zimmer mit abschließbarer Tür mieten und meinen Garten nur bei Tageslicht pflegen, damit ich Fremde rechtzeitig kommen sah.
    Unter einem Baum sitzend, wog ich meine Möglichkeiten ab. Die Herbstblumen standen in voller Blüte: Eisenkraut, Goldrute, Chrysanthemen und eine spät blühende Rose. Die ordentlich in Schuss gehaltenen städtischen Beete rings um den Park waren mit dichtem, vielschichtigem Immergrün bepflanzt, boten allerdings wenig Farbiges.
    Ich machte mich an die Arbeit, begutachtete Länge, Dichte, Beschaffenheit und Duftnoten der Blumen und zupfte vorsichtig zerdrückte Blütenblätter ab. Als ich fertig war, ragten spiralförmige weiße Chrysanthemen aus einem Bett aus schneefarbenem Eisenkraut, während Büschel aus hellen Rosen über den Rand des fest gebundenen Straußes hingen. Ich hatte sämtliche Dornen entfernt. Der Strauß war so weiß wie eine Hochzeit und erzählte von Gebeten, der Wahrheit und einem in diesen Dingen unerfahrenen Herzen. Doch das würde keiner wissen.
     
    Als ich zurückkehrte, schloss die Frau gerade den Laden ab. Es war noch nicht Mittagszeit.
    »Falls Sie sich noch einmal fünf Dollar verdienen wollen, kommen Sie zu spät«, sagte sie und wies mit einer Kopfbewegung auf den Laster. Er war voller schwerer Gestecke. »Ich hätte Ihre Hilfe gebrauchen können.«
    Ich hielt ihr meinen Strauß hin.
    »Was ist das?«, erkundigte sie sich.
    »Erfahrung«, antwortete ich und gab ihr die Blumen.
    Sie schnupperte an den Chrysanthemen und den Rosen, bohrte den Finger in das Eisenkraut und betrachtete ihre Fingerspitze. Sie war sauber. Dann ging sie den Hügel hinauf zu ihrem Laster und bedeutete mir, ihr zu folgen.
    Aus dem Laster nahm sie einen Strauß steifer weißer Rosen, die fest mit einem rosafarbenen Satinband zusammengebunden waren, und hielt die beiden Sträuße nebeneinander. Es war kein Vergleich. Als sie mir die weißen Rosen zuwarf, fing ich sie mit einer Hand auf.
    »Bringen Sie die zu Spitaris oben auf dem Hügel. Fragen Sie nach Andrew und sagen Sie ihm, ich hätte Sie geschickt. Er wird Ihnen für die Blumen ein Mittagessen spendieren.«
    Ich nickte, und sie stieg in den Laster. »Ich heiße Renata.« Sie ließ den Motor an. »Wenn Sie nächsten Samstag arbeiten wollen, seien Sie um fünf Uhr morgens hier. Falls Sie auch nur eine Minute zu spät kommen, bin ich weg.«
    Vor lauter Erleichterung wäre ich am liebsten den Hügel hinuntergerannt. Es spielte keine Rolle, dass mir nur Arbeit für einen Tag versprochen worden war und dass das Geld lediglich reichen würde, um ein Zimmer für ein paar Nächte zu mieten. Es war ein erster Schritt. Und wenn ich mich geschickt anstellte, würde sie mich bitten wiederzukommen. Ich lächelte dem Gehweg zu. Die Zehen zuckten in meinen Schuhen.
    Renata fuhr los, blieb noch einmal stehen und kurbelte das Fenster hinunter. »Name?«, wollte sie wissen.
    »Victoria«, erwiderte ich, schaute auf und unterdrückte ein Lächeln. »Victoria Jones.«
    Sie nickte einmal

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