Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
Vom Netzwerk:
Blumen zu. Nur die Hälfte landete in dem leeren Eimer. Langsam bückte ich mich, um die heruntergefallenen Blumen aufzuheben.
    »Heute ist ihr erster Tag«, erklärte Renata dem Händler. »Sie hat noch nicht verstanden, wie wichtig der Zeitfaktor ist. Ihre Lilien werden in einer Viertelstunde ausverkauft sein.«
    Nachdem die letzte Blume im Eimer steckte, stand ich auf. Der Händler führte Dutzende verschiedener Liliensorten: Tigerlilien, Prachtlilien, Königslilien und reinweiße Casablancalilien. Ich wischte ein Stück Pollen vom Blütenblatt einer offenen Prachtlilie und hörte zu, wie Renata über den Preis verhandelte. Beinahe ohne innezuhalten, ratterte sie Summen herunter, die das, was die anderen Kunden bezahlt hatten, weit unterschritten. Als der Händler zustimmte, verstummte sie schlagartig. Ich schaute auf.
    Renata holte das Portemonnaie heraus und schwenkte ein dünnes Bündel Geldscheine vor dem Gesicht des Händlers hin und her. Doch dieser griff nicht danach. Stattdessen sah er mich an. Sein Blick wanderte von meinen gegelten Haarspitzen über mein Gesicht, umspielte mein Schlüsselbein und brachte meine bedeckten Arme zum Glühen, bis er an dem klebrigen braunen Pollen auf meinen Fingerspitzen hängenblieb. Der Blick war wie ein Übergriff. Ich umklammerte den Rand des Eimers in meiner Hand so sehr, dass meine Knöchel weiß wurden.
    Das ungeduldige Flattern der Banknoten in Renatas Hand durchbrach die Stille. »Hallo?«
    Er nahm das Geld, allerdings ohne in seiner unverhohlenen Musterung meines Körpers innezuhalten. Seine Augen glitten über meine geschichteten Röcke, und er betrachtete das Stück Bein, das zwischen Socken und Stretchhose sichtbar war.
    »Das ist Victoria«, sagte Renata und zeigte mit dem Finger auf mich. Sie schwieg, als warte sie darauf, dass der Blumenhändler sich vorstellte, aber er tat es nicht.
    Seine Augen richteten sich wieder auf mein Gesicht. Unsere Blicke trafen sich. Seiner hatte etwas Beunruhigendes, ein Funke des Erkennens, der mich aufmerken ließ. Als ich ihn ansah, war mein erster Eindruck der eines Mannes, der es im Leben ebenso schwer gehabt hatte wie ich, wenn auch auf andere Weise. Er war älter als ich, meiner Schätzung nach mindestens fünf Jahre, und hatte das staubige, gezeichnete Gesicht eines Menschen, der körperlich arbeitete. Wahrscheinlich hatte er die Blumen eigenhändig gepflanzt, gepflegt und gepflückt. Deshalb war sein Körper kräftig und muskulös, und er zuckte weder zusammen, noch lächelte er, als ich ihn meinerseits musterte. Seine dunkle Haut war sicher salzig. Bei diesem Gedanken klopfte mein Herz aus einem anderen Grund als vor Zorn, ein Gefühl, das ich nicht kannte und von dem es mir innerlich ganz warm wurde. Ich biss mir auf die Lippe und schaute ihn wieder an.
    Er zog eine orangefarbene Tigerlilie aus einem Eimer.
    »Nimm dir eine«, sagte er und wollte sie mir reichen.
    »Nein«, erwiderte ich. »Ich mag Lilien nicht.«
Außerdem bin ich keine Königin,
fügte ich bei mir hinzu.
    »Das solltest du aber«, meinte er. »Sie passen zu dir.«
    »Und woher weißt du, was zu mir passt?« Ohne nachzudenken, brach ich der Lilie in seiner Hand die Blüte ab. Sechs spitz zulaufende Blütenblätter gerieten ins Trudeln, das Gesicht der Blume machte Bekanntschaft mit dem harten Boden. Renata atmete hörbar ein.
    »Ich weiß es nicht«, entgegnete er.
    »Das war mir klar.« Ich schwenkte den vollen Blumeneimer in meinen Armen, um die Hitze zu verteilen, die mein Körper abstrahlte. Die Bewegung sorgte dafür, dass ich das Zittern meiner Arme spürte.
    Ich wandte mich zu Renata um. »Draußen«, sagte sie und wies auf den Ausgang. Voller Angst, schon eine knappe Stunde nachdem ich meine erste Stelle angetreten hatte, fristlos gekündigt zu werden, wartete ich darauf, dass sie etwas hinzufügte. Doch Renatas Aufmerksamkeit galt der länger werdenden Schlange an der nächsten Bude. Als sie sich umdrehte und feststellte, dass ich mich nicht gerührt hatte, zog sie verdattert die Augenbrauen hoch.
    »Was ist?«, fragte sie. »Gehen Sie und warten Sie am Auto.«
    Ich drängte mich durch die dichte Menschenmenge zum Ausgang. Obwohl mir von dem Gewicht des vollen Eimers die Arme weh taten, schleppte ich ihn über den Parkplatz, ohne eine Ruhepause einzulegen. An Renatas Laster angekommen, stellte ich den Eimer ab und ließ mich erschöpft auf den harten Beton sinken.

7.
    I ch war mir sicher, dass Elizabeth mich durch die dunklen Fenster

Weitere Kostenlose Bücher