Die verborgene Sprache der Blumen / Roman
Elizabeths Schuhen nach zurückgebliebenen Stacheln ab. Wenn Elizabeth nun endlich den Anruf tätigte, den sie seit Tagen vor sich herschob, wollte ich zuhören. Ich fand es spannend, dass Elizabeth, die niemals über ein Wort zu stolpern schien, etwas auf dem Herzen hatte, das sie offenbar nicht ausdrücken konnte. Als ich durchs Fenster spähte, sah ich Elizabeth an der Küchentheke sitzen. Rasch wählte sie eine siebenstellige Nummer, lauschte dem ersten Läuten und legte auf. Langsam wählte sie wieder. Diesmal drückte sie den Hörer ans Ohr. Von meinem Beobachtungsposten am Fenster aus konnte ich erkennen, dass sie die Luft anhielt. Sie wartete eine ganze Weile.
Endlich begann Elizabeth zu sprechen. »Catherine.« Sie presste die Hand auf den Hörer und stieß ein Geräusch aus, das gleichzeitig ein Seufzer und ein Aufschluchzen war. Ich stellte fest, dass sie sich die Augenwinkel abwischte. Dann hielt sie sich die Sprechmuschel wieder an den Mund. »Ich bin es, Elizabeth.« Erneut verstummte sie. Ich spitzte aufmerksam die Ohren, um die Stimme der Person am anderen Ende der Leitung zu hören, aber ich konnte es nicht. Währenddessen fuhr Elizabeth mit zitternder Stimme fort. »Ich weiß, dass es fünfzehn Jahre her ist. Wahrscheinlich hast du gedacht, dass ich mich nie wieder melden würde. Offen gestanden hatte ich das auch fest vor. Doch inzwischen habe ich eine Tochter und muss ständig an dich denken.«
In diesem Moment wurde mir klar, dass Elizabeth nicht mit einem Menschen redete, sondern mit einem Anrufbeantworter. Sie wurde immer schneller, und ihre Worte überschlugen sich. »Weißt du«, sagte sie, »wenn eine meiner Freundinnen ein Baby bekommt, ruft sie als Erstes ihre Mutter an. Sie wollen ihre Mütter bei sich haben – selbst die Freundinnen, die ihre Mütter hassen.« Elizabeth lachte auf, und ihre bis fast zu den Ohren hochgezogenen Schultern lockerten sich. Sie wickelte sich das spiralförmige Kabel um den Finger. »Mittlerweile verstehe ich das. Allerdings auf eine völlig andere Weise. Da unsere Eltern tot sind, habe ich nur noch dich, und ich denke ständig an dich – ich kann an fast nichts anderes mehr denken.« Elizabeth verstummte. Vielleicht überlegte sie, was sie als Nächstes sagen oder wie sie es in Worte fassen sollte. »Ich habe kein Baby zur Welt gebracht. Ich wollte eines adoptieren, habe aber ein neunjähriges Mädchen bekommen. Wenn ich dich sehe, erzähle ich dir die ganze Geschichte. Hoffentlich sehe ich dich. Wie dem auch sei, wenn du Victoria begegnest, wirst du verstehen. Sie hat diesen wilden Blick, wie ich ihn als kleines Mädchen hatte, als ich begriff, dass ich unsere Mutter nur aus ihrem Zimmer locken konnte, indem ich auf dem Herd Fett anzündete oder alle Gläser mit den in diesem Jahr eingeweckten Pfirsichen zerbrach.« Wieder lachte Elizabeth und wischte sich die Augen. Ich bemerkte, dass sie weinte, obwohl sie keinen traurigen Eindruck machte. »Erinnerst du dich? Also – ich rufe an, um dir zu sagen, dass ich dir verzeihe, was geschehen ist. Es ist so lange her. Eigentlich eine ganze Lebenszeit. Ich hätte mich längst melden sollen, und es tut mir leid, dass ich es nicht getan habe. Ich habe gehofft, du würdest mich anrufen oder mich besuchen. Du fehlst mir. Und ich möchte so gerne Grant kennenlernen. Bitte.« Elizabeth wartete, lauschte und legte dann so vorsichtig auf, dass ich die Gabel kaum klicken hörte.
Ich hastete die Stufen hinunter, richtete den Blick starr auf Elizabeths Schuhe und hoffte, sie würde nicht bemerken, dass ich gelauscht hatte. Schließlich kam sie aus der Küche und humpelte die Treppe hinab. Ihre Augen waren zwar trocken, glänzten aber noch, und sie wirkte gelöster, ja, sogar glücklicher, als ich sie je erlebt hatte. »Also, lass mich schauen, ob du Erfolg hattest«, sagte sie. »Zieh sie an.«
Ich schlüpfte in ihre Schuhe, zog sie wieder aus, entfernte einen Stachel unter der großen Zehe, den ich übersehen hatte, und zog sie erneut an. Dann ging ich dreimal die Treppe hinauf und hinunter.
»Danke«, meinte sie und steckte mit einem zufriedenen Seufzer den unversehrten Fuß in den Schuh. »Viel, viel besser.« Langsam stand sie auf. »Und jetzt lauf in die Küche und hol ein leeres Marmeladenglas aus dem Gläserschrank, ein Geschirrtuch und die Schere vom Küchentisch.«
Ich tat es. Als ich zurückkehrte, stand sie auf der untersten Stufe und versuchte, ihren verletzten Fuß zu belasten. Sie blickte zwischen
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