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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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»Frohe Weihnachten«, sagte sie.
    Später, in meinem blauen Zimmer, öffnete ich den Umschlag und stellte fest, dass sie mir doppelt so viel bezahlt hatte wie abgemacht. Gerade noch rechtzeitig, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen, dachte ich spöttisch und verstaute das Geld in meinem Rucksack.
    Den Großteil meines Bonus gab ich für einen Karton Filme bei einem Großhändler für Fotobedarf und den Rest bei einem Laden für Künstlerbedarf in der Market Street aus. Mein Wörterbuch sollte kein Buch im eigentlichen Sinne werden. Stattdessen kaufte ich zwei mit Stoff bezogene Fotoboxen, die eine orangefarben, die andere blau, schwarzes Tonpapier im Format fünfzehn mal zwanzig Zentimeter, eine Sprühdose mit Fotokleber und einen silbermetallicfarbenen Markierstift.
    Es war zehn Tage vor Weihnachten. Mit Ausnahme von einigen Aufnahmen meines vernachlässigten Gartens im McKinley Square – Heidekraut und Helenenkraut hatten das schlechte Wetter und die mangelnde Pflege überstanden – legte ich eine Fotografierpause ein. Ich hatte bei Grant fünfundzwanzig Rollen verknipst und brauchte die gesamten zehn Tage, um die Filme entwickeln zu lassen, die Abzüge zu sortieren, sie auf das Tonpapier zu kleben und sie zu beschriften. Unter alle Blumenfotos trug ich den gebräuchlichen Namen und die wissenschaftliche Bezeichnung ein. Auf der Rückseite vermerkte ich die Bedeutung. Von jeder Blume fertigte ich zwei Karten an und steckte jeweils eine in die beiden Kisten.
    Am Weihnachtsabend waren sämtliche Fotos aufgeklebt und getrocknet. Natalya und ihre Band waren irgendwo hingefahren, wo Leute wie sie die Feiertage eben verbrachten, so dass es angenehm ruhig in der Wohnung war. Ich brachte die Fotokartons nach unten, breitete die Karten in ordentlichen Reihen im leeren Probenraum aus und ließ dazwischen Lücken, damit ich hin und her gehen konnte. Die Karten für die orangefarbene Box legte ich mit der Blumenseite nach oben hin, die für die blaue mit der Abbildung nach unten. Stundenlang lief ich so herum und alphabetisierte zuerst nach Blumennamen, dann nach Bedeutung. Schließlich verstaute ich die Karten wieder in den Kisten und schlug Elizabeths Blumenwörterbuch auf, um mich an meinen Fortschritten zu erfreuen. Obwohl es mitten im Winter war, war mein illustriertes Wörterbuch zur Hälfte fertig.
    Die Pizzeria oben auf dem Hügel war menschenleer. Ich holte mir eine Pizza zum Mitnehmen, verspeiste sie auf Natalyas Bett und betrachtete dabei die verlassene Straße unter mir. Nachdem ich aufgegessen hatte, legte ich mich in mein blaues Zimmer. Obwohl es dort ruhig, warm und dunkel war, machte ich die Augen immer wieder auf. Der fahlweiße Lichtstrahl der Straßenlaterne fiel in Natalyas Zimmer und zwängte sich durch den Ritz in der Tür des Wandschranks. Der Strahl war dünn wie ein Bleistift und beschrieb eine Linie an der Wand entlang und genau mitten durch meine Fotoboxen. Die blaue Box hatte genau die gleiche Farbe wie die Wand, so dass es aussah, als schwebte die orangefarbene Box, die darauf stand, in der Luft. Sie gehörte nicht hierher.
    Ihr Platz war in Grants Bücherregal, gegenüber vom orangefarbenen Sofa. Genau aus diesem Grund hatte ich die Farbe ausgesucht, auch wenn ich es mir bis jetzt nicht eingestanden hatte. Aber Grant war fort. Die Notwendigkeit, Missverständnisse in der Blumensprache zu vermeiden, hatte sich damit erledigt. Und dennoch hatte ich eine zweite Box gekauft und einen zweiten Kartensatz angefertigt. Ich schloss die kleine Tür auf, die ins Wohnzimmer führte, und stellte die orangefarbene Box hinaus.

12.
    G rant folgte der Einladung zum Brombeerpudding nicht. Er hat etwas verpasst, dachte ich, als ich am nächsten Morgen die Schüssel ausleckte. Der Pudding war köstlich.
    Als ich die Schüssel in die Spüle stellte, hastete Elizabeth atemlos zur Hintertür herein. Das Haar fiel ihr offen über die Schultern, und mir wurde klar, dass ich sie in diesem knappen Jahr noch nie ohne festen Dutt im Nacken gesehen hatte. Sie lächelte, und in ihren Augen zeigte sich eine grenzenlose Glückseligkeit, wie ich sie bei ihr nicht kannte.
    »Ich habe eine Idee!«, verkündete sie. »Wie dumm von mir, dass ich nicht früher darauf gekommen bin.«
    »Worauf?«, fragte ich. Aus unerklärlichen Gründen wurde mir beim Anblick ihrer Begeisterung mulmig. Ich leckte gelierten Brombeersaft vom Löffel und beobachtete sie.
    »Als ich im Internat war, haben Catherine und ich uns Briefe geschrieben – bis

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