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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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als ich über den Tisch schaute, stellte ich fest, dass er den Anblick meines rasenden Hungers genoss. Seine forschenden Augen lösten Beklommenheit in mir aus.
    Inzwischen waren auch von der zweiten Keule nur noch Knochen da. »Du weißt, dass nichts draus wird, richtig?«, fragte ich. »Aus uns?«
    Grant sah mich verdattert an.
    »Im Drogeriemarkt, das alte Ehepaar, das Hinternklopfen, das Zwinkern. Das wird uns nicht passieren. Du wirst mich in sechzig Jahren nicht mehr kennen«, fügte ich hinzu. »Wahrscheinlich nicht einmal in sechzig Tagen.« Sein Lächeln verflog.
    »Wieso bist du dir da so sicher?«, fragte er.
    Ich dachte darüber nach. Ich war eben sicher und wusste, dass er mir das anmerkte. Allerdings war meine Gewissheit schwierig zu erklären. »Ich habe noch nie jemanden länger als fünfzehn Monate gekannt, wenn man meine Sozialarbeiterin nicht mitzählt, was ich nicht tue.«
    »Was ist nach fünfzehn Monaten passiert?«, hakte er nach.
    Ich sah ihn flehend an. Als ihm die Antwort klarwurde, wandte er, offensichtlich verlegen, den Blick ab.
    »Aber warum nicht jetzt?« Es war genau die richtige Frage, und als er sie stellte, wusste ich die Antwort.
    »Ich traue mir selbst nicht«, erwiderte ich. »Ganz gleich, wie du dir unser gemeinsames Leben auch vorstellst, wird es nicht dazu kommen. Ich würde alles verderben.«
    Ich merkte Grant an, dass er darüber nachdachte und versuchte, die Kluft zwischen der Endgültigkeit in meinem Tonfall und seinen Träumen von einer Zukunft mit mir zu erfassen und die Lücke mit einer Mischung aus Hoffnung und Selbsttäuschung zu überbrücken. Seine verzweifelte Sehnsucht erfüllte mich mit Mitleid und war mir gleichzeitig unangenehm.
    »Bitte vergeude deine Zeit nicht«, sprach ich weiter, »indem du dir weiter Mühe gibst. Ich habe es einmal versucht und bin gescheitert. Ich kann das nicht.«
    Als Grant mich wieder ansah, hatte sich sein Gesichtsausdruck verändert. Sein Kiefer war angespannt, und seine Nasenflügel blähten sich leicht.
    »Du lügst«, stellte er fest.
    »Was?«, gab ich zurück. Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet.
    Grant zerrte an dem Haar über seiner Stirn, dass sich die Haut dehnte. »Lüg mich nicht an. Sag mir, dass du mir nicht verzeihen kannst, was meine Mutter getan hat, oder dass dir bei meinem Anblick jedes Mal schlecht wird. Aber sitz nicht da und lüg mir vor, es sei deine Schuld, dass wir nicht zusammen sein können.«
    Ich griff nach den Hühnerknochen und pflückte das Fett von den Sehnen. Ich konnte ihn nicht anschauen, weil ich seine Worte zuerst verarbeiten musste.
Was meine Mutter getan hat.
Es gab nur eine Erklärung. Bei unserer ersten Begegnung hatte ich Grants Gesicht nach Anzeichen von Wut abgesucht. Und als ich sie nicht fand, hatte ich es als Zeichen dafür gedeutet, dass er mir verziehen hatte. Doch in Wirklichkeit steckte etwas völlig anderes dahinter. Grant war deshalb nicht böse auf mich, weil nicht einmal er die Wahrheit kannte. Ich begriff zwar nicht, wie es möglich war, dass er so viele Jahre mit seiner Mutter hatte zusammenleben können, ohne es zu erfahren. Aber ich fragte nicht nach.
    »Ich lüge nicht«, war das Einzige, was mir einfiel.
    Grant ließ die Gabel fallen, so dass das Metall auf dem Keramikteller klapperte. Er stand auf. »Sie hat nicht nur dein Leben ruiniert«, sagte er und trat aus der Küche in die Nacht hinaus.
    Ich schloss die Tür hinter ihm ab.

10.
    I m Juli ging es auf dem Bauernmarkt hoch her. Kinderwägen, in denen Kleinkinder mit nektarinenverschmierten Mündern zwischen Haufen von Gemüse saßen, blockierten die Gänge. Alte Männer mit Schubkarren winkten die abgehetzten Mütter ungeduldig beiseite. Unter meinen Füßen knirschten weggeworfene Pistazienschalen. Ich musste laufen, um mit Elizabeth mitzuhalten, die auf die Brombeeren zusteuerte.
    Nach dem Mittagessen hatte Elizabeth mir mitgeteilt, wir würden Brombeerpudding und hausgemachte Eiscreme zubereiten. Das war Bestechung, damit ich im Haus blieb, mich nicht der rekordverdächtigen Hitze aussetzte und mich von ihren rasch reif werdenden Trauben fernhielt.
    Widerstrebend stimmte ich zu. Den ganzen Frühling hatten Elizabeth und ich Seite an Seite im Weinberg gearbeitet. Nun, da man nichts mehr tun konnte als warten, wollte ich die Pflanzen nicht allein lassen. Mir fehlten die langen Vormittage, an denen wir die Ranken festgebunden und die unten am Stamm keimenden Schösslinge gekappt hatten, damit sie der Rebe

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