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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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flüchtete den Flur hinunter.
    »Komm nur rein!«, rief sie mir nach. »Hier gibt es nur ein Bad. Achte einfach nicht auf mich!«
    Renata war in der Küche und schenkte Kaffee ein. Sie reichte mir eine Tasse.
    »Deine Mutter duscht«, teilte ich ihr mit.
    »Bestimmt bei offener Tür«, erwiderte sie gähnend.
    Ich nickte.
    »Tut mir leid.«
    Ich lehnte mich an die Spüle.
    »Meine Mutter war in Russland Hebamme«, erklärte Renata. »Also ist sie es gewohnt, Frauen, nur wenige Minuten nachdem sie sie kennengelernt hat, nackt zu sehen. Amerika in den Siebzigern war das Nonplusultra für sie, und ich glaube, sie hat nicht bemerkt, dass sich die Zeiten geändert haben.«
    In diesem Moment kam Mutter Rubina in die Küche. Sie trug einen grell korallenroten Bademantel aus Frottee. »Was hat sich geändert?«, fragte sie.
    Renata schüttelte den Kopf. »Das mit der Nacktheit.«
    »Ich glaube, am Nacktsein hat sich seit der Geburt des ersten Menschen nichts geändert«, wandte Mutter Rubina ein. »Es liegt an der Gesellschaft.«
    Renata verdrehte die Augen und drehte sich zu mir um. »Diese Debatte führen meine Mutter und ich schon, seit ich sprechen kann. Als ich zehn war, habe ich ihr gesagt, ich würde nie Kinder kriegen, weil ich mich nie mehr vor ihr nackt ausziehen möchte. Und schau mich an – fünfzig und kinderlos.«
    Mutter Rubina schlug ein Ei in die Pfanne. »Ich habe alle meine zwölf Enkelkinder entbunden«, verkündete sie stolz.
    »Arbeitest du noch als Hebamme?«, fragte ich.
    »Nicht offiziell«, erwiderte sie. »Aber ich bekomme noch immer Anrufe um zwei Uhr morgens, und zwar aus der ganzen Stadt. Und ich fahre immer hin.« Sie reichte mir einen Teller mit Spiegeleiern.
    »Danke«, sagte ich. Nachdem ich aufgegessen hatte, ging ich den Flur hinunter ins Bad und schloss die Tür hinter mir ab.
     
    »Das nächste Mal ein bisschen mehr Vorwarnung«, meinte ich zu Renata, als wir später am Vormittag ins Flora fuhren. Wir hatten eine ganze Woche voller Hochzeiten vor uns und fühlten uns beide ausgeruht und gesättigt.
    »Wenn ich dich gewarnt hätte, wärst du nicht mitgekommen«, entgegnete Renata. »Und du hattest ein bisschen Schlaf und ein gutes Essen bitter nötig. Streite das bloß nicht ab.«
    Ich protestierte nicht.
    »Meine Mutter genießt unter den Hebammen eine Art Sonderstellung. Sie hat jede Menge Erfahrung, und ihre Ergebnisse sind viel besser als die der modernen Medizin, selbst in Fällen, wo es eigentlich nicht so sein sollte. Du wirst schon noch lernen, sie zu mögen. Das geht den meisten so.«
    »Den meisten«, erwiderte ich. »Aber dir nicht?«
    »Ich respektiere meine Mutter«, antwortete Renata und hielt kurz inne. »Wir sind einfach nur verschieden. Jeder nimmt an, dass zwischen Müttern und ihren Kindern eine Art biologische Verbindung besteht, doch das stimmt nicht immer. Meine anderen Schwestern kennst du nicht, aber schau dir nur Natalya, meine Mutter und mich an.« Sie hatte recht. Die drei hätten unterschiedlicher nicht sein können.
    Während ich die Aufträge ordnete und Listen von Blumensorten und Bestellmengen für die anstehenden Hochzeiten anlegte, musste ich den ganzen Tag an Grants Mutter denken. Ich erinnerte mich an die blasse Hand, wie sie an dem Nachmittag unseres Besuchs aus dem Schatten aufgetaucht war. Wie hatte Grant sich wohl als Kind gefühlt? Allein mit den Blumen und mit einer Mutter, die irgendwo zwischen Vergangenheit und Gegenwart lebte und dabei von Zimmer zu Zimmer wanderte. Ich beschloss, Grant danach zu fragen, falls er noch einmal mit mir reden würde.
     
    Doch Grant war weder in dieser Woche noch in der darauffolgenden auf dem Blumenmarkt. Seine Bude war leer. Der weiße Lack blätterte vom Pressspan, alles machte einen verlassenen Eindruck. Ich überlegte, ob er wiederkommen würde oder ob die Vorstellung, mich wiederzusehen, ihn für immer verscheucht hatte.
    Allmählich litt meine Arbeit darunter, dass ich ständig über Grants Abwesenheit nachgrübelte. Renata gewöhnte sich an, sich neben mich an den Arbeitstisch zu setzen. Anstatt wie sonst zu schweigen, erzählte sie mir lange lustige Geschichten über ihre Mutter, ihre Schwestern und ihre Nichten und Neffen. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, dennoch half mir ihr dauernder Redefluss, mich auf die Blumen zu konzentrieren.
    Das neue Jahr kam und ging in einem Nebel aus weißen Hochzeiten und mit silbernen Glöckchen verzierten Sträußen. Grant war noch immer nicht zum Blumenmarkt

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