Die verborgene Stadt - Die Prophezeiung
Vorschlag mit einer Selbstverständlichkeit vor, als handle es sich um eine Einladung zur Kutschfahrt.
»Nein«, entgegnete Wseslawa. »Ich bin eine Königin und keine Usurpatorin. Außerdem musst du dich auf eine andere Aufgabe konzentrieren.«
»Wovon sprichst du?«
»Ich spreche vom Boten.« Die Königin zog die Schultern hoch. »Wir müssen ihm Einhalt gebieten.«
Der Baron seufzte und versank in düsteren Gedanken. Er hatte nicht vergessen, welch bohrender Hass und lähmende Angst Wseslawa seinerzeit befielen, als sie zum ersten Mal die unbändige Macht des siebenjährigen Lubomirs verspürte. Er erinnerte sich gut an die ohnmächtige Verzweiflung der jungen, frisch gewählten Königin, seiner Gebieterin, seiner großen Liebe. Und es hatte sich in sein Gedächtnis eingegraben, wie begehrlich der Halbwüchsige Wseslawas schlanken Körper angestarrt hatte, wie unverfroren er mit ihr zu sprechen gewagt hatte und wie … Metscheslaw griff sich reflexartig an die verhärtete Narbe, die seinen Hals überzog. Was damals geschehen war auf dem Weg zu seinem Jagdhaus, das wussten nur er und Lubomir. Nicht einmal Wseslawa, die ihn damals fand und wieder aufpäppelte, hatte er Einzelheiten von dem Kampf erzählt, bei dem er, der beste Fechter des Grünen Hofs, seine einzige Niederlage erlebte. Selbst mit Hilfe des Kranichschnabels war es ihm nicht gelungen, den Boten zu besiegen. Der Junge entwischte, verbarg sich und schmiedete fortan Rachepläne.
»Hinter dem Überfall auf die Burg steckt Lubomir, da bin ich mir sicher.« Wseslawas Worte rissen Metscheslaw aus seinen Gedanken. »Er hat bereits den Regenbrunnen angezapft, und jetzt ist er hinter dem Karthagischen Amulett her, um die Tschuden aus dem Spiel zu nehmen. «
»Die Tschuden sagen aber, das Amulett sei an seinem
Platz. Demnach wäre der Angriff gescheitert, und die Rothauben werden kaum so dumm sein, einen zweiten Überfall zu wagen.«
»Ein zweiter Überfall wird nicht nötig sein«, erwiderte Wseslawa und atmete tief durch. »Zum Glück sind meine magischen Fähigkeiten noch nicht vollständig erloschen. Ich weiß genau, dass das Amulett geraubt wurde.«
»Hat es Lubomir?«
»Noch nicht. Es ist mir gelungen, die Rothauben zu belauschen. Sie suchen einen Humo, einen Söldner namens Cortes. Ich nehme an, dass er das Amulett hat.«
»Was soll denn ein Humo mit dem Amulett?«, wunderte sich der Baron.
»Möglicherweise wird er von den Nawen bezahlt.« Die Königin schaute Metscheslaw fordernd in die Augen. »Du musst mir das Amulett bringen. Es wird in diesem Spiel mein einziger Trumpf sein.«
»Im Spiel gegen wen?«
»Gegen alle. Alle sind scharf auf das Amulett: die Tschuden, die Nawen, der Bote. Und beim Großen Königsrat hätte ich auch einen leichteren Stand, wenn ich das Amulett in meinem Besitz wüsste.«
»Ich werde es dir bringen, Liebste«, versprach der Baron und zog die Königin zärtlich an sich.
»Und vergiss nicht«, flüsterte Wseslawa, während sie ihre Arme um Metscheslaws mächtige Schultern schlang, »du hast weniger als vierundzwanzig Stunden Zeit.«
KAPITEL SECHS
Moskauer Eremitage, Kloster der Erli
Moskau, Zarizyno-Park
Dienstag, 27. Juli, 04:30 Uhr
»Ey, Säbel, es ist verdammt ruhig hier bei denen, das ist kein gutes Zeichen«, unkte der Uibuj Sargnagel, während er hingebungsvoll mit dem Finger in der Nase bohrte.
Der Anführer der Fötidos sah seinen Truppführer skeptisch an.
»Bohr nicht so heftig, sonst zerkratzt du dir noch das Hirn«, warnte er.
»Ach was, an dem Finger habe ich mir den Nagel abgebissen«, beruhigte ihn Sargnagel und fügte hinzu: »Diese Erli kann ich nicht ausstehen.«
»Echt? Und wie oft haben sie dich schon zusammengeflickt? «, erkundigte sich spöttisch Navaja, der auf dem Rücksitz saß.
»Frag lieber, wie viel Kohle sie mir dafür abgeknöpft haben«, entrüstete sich der geizige Sargnagel. »Ein Vermögen! Die Dreckskerle wissen genau, dass uns gar nichts anderes übrigbleibt, als in ihr Kloster zu kommen, und verdienen sich eine goldene Nase an uns. Wir sollten
uns mal in ihren Kellern umsehen! Dort gibt’s was zu holen, ey.«
»Das möcht ich sehen, wie du bei denen einbrichst, du Penner. Die Mönche werden Polpa Nawese aus dir machen. «
»Sie werden was aus mir machen?«, stutzte Sargnagel.
»Polpa Nawese«, wiederholte Navaja und erläuterte jovial: »Das ist fein durchgedrehtes rohes Fleisch mit Gemüse und scharfer Sauce. Hab ich gestern in der Eidechse gegessen
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