Die verborgene Wirklichkeit
Ausmaße des beobachtbaren Universums hat, hätte die Planck-Länge bei der gleichen Vergrößerung die Abmessungen eines durchschnittlichen Baums.
Deshalb kann man sich vorstellen, welche Überraschung und Skepsis herrschte, als unter Physikern Mitte der achtziger Jahre Gerüchte die Runde machten, wonach mit einem Ansatz namens Stringtheorie ein wichtiger theoretischer Fortschritt in Richtung eben dieser Art von Vereinheitlichung erzielt worden war.
Die Stringtheorie
Die Stringtheorie hat zwar einen Furcht einflößenden Ruf, aber ihr Grundgedanke lässt sich leicht erfassen. Wie wir bereits erfahren haben, behandelte die vor Aufkommen der Stringtheorie übliche Sichtweise die Grundbestandteile der Natur als punktförmige Teilchen – Punkte ohne innere Struktur –, die durch die Gleichungen der Quantenfeldtheorie beschrieben werden. Mit jeder Teilchenspezies ist dabei eine eigene Sorte von Feld assoziiert. Die Stringtheorie stellt dieses Bild infrage: Sie legt die Vermutung nahe, dass Teilchen keine Punkte sind, sondern winzige, fadenähnliche, schwingende Filamente wie in Abbildung 4.2 . Würde man sich ein beliebiges, früher als elementar betrachtetes Teilchen nur genau genug ansehen, dann, so die Stringtheorie, würde man einen winzig kleinen, vibrierenden String finden. Sieht man tief im Inneren eines Elektrons nach, findet man einen String; blickt man tief genug in einen Quark hinein, findet man ebenfalls einen String.
Mit noch genauerer Beobachtung, so behauptet die Theorie weiter, würde man feststellen, dass die Strings, die den verschiedenen Teilchensorten zugrunde liegen, genau gleich sind – das Leitmotiv der String-Vereinheitlichung –, aber auf unterschiedliche Art und Weise schwingen. Ein Elektron hat weniger Masse als ein Quark, und nach der Stringtheorie bedeutet das, dass der String des Elektrons mit geringerer Energie vibriert als der des Quarks (worin sich wiederum die Äquivalenz von Energie und Masse, E = mc 2 , widerspiegelt). Außerdem hat das Elektron eine elektrische Ladung, die größer ist als die Ladung eines Quarks, und dieser Unterschied geht wiederum auf winzige Unterschiede zwischen den Schwingungsmustern der Strings zurück, die sich hinter Elektronen beziehungsweise Quarks verbergen. Ganz ähnlich wie die unterschiedlichen Schwingungsmuster der Saiten einer Gitarre unterschiedliche Töne entstehen lassen, so bringen auch die unterschiedlichen Schwingungsmuster der elementaren Fäden in der Stringtheorie unterschiedliche Teilcheneigenschaften hervor.
Abbildung 4.2 Die Erklärung der Stringtheorie für das Wesen der Physik im Planck-Maßstab: Danach sind die grundlegenden Bestandteile der Materie fadenförmige Filamente. Nur wegen des begrenzten Auflösungsvermögens unserer Instrumente sehen die Strings wie Punkte aus.
Tatsächlich sagt uns die Theorie, dass ein vibrierender String nicht nur über die Eigenschaften seines Wirtsteilchens bestimmt, sondern dass er das Teilchen ist . Wegen der ungeheuer geringen Größe der Strings, die in der Größenordnung der Planck-Länge – 10 – 33 Zentimeter – liegt, können wir die Struktur der Strings heute auch mit den fortschrittlichsten Experimenten nicht sichtbar machen. Der bereits erwähnte neue Teilchenbeschleuniger in Genf, der LHC, der Teilchen mit dem Zehnbillionenfachen der Energie eines ruhenden Protons aufeinanderprallen lässt, gibt uns Aufschluss über Strukturen mit einer winzigen Größe von bis zu 10 – 19 Zentimetern; das ist ein Millionstel eines Milliardstels der Breite eines Haares, aber immer noch um viele Zehnerpotenzen zu groß, als dass man damit Phänomene im Bereich der Planck-Länge untersuchen könnte. Und genau wie die Erde, die vom Pluto aus wie ein Punkt aussieht, so erscheinen auch Strings selbst in den denkbar stärksten Teilchenbeschleunigern noch als punktartige Teilchen – nicht als schwingende Fäden, wie es die Stringtheorie sagt.
Das ist die Stringtheorie in Kurzfassung.
Strings, Punkte und Quantengravitation
Die Stringtheorie hat noch viele weitere wesentliche Merkmale, und durch die Entwicklungen, die sie seit ihrer erstmaligen Formulierung durchgemacht hat, wurde die knappe Beschreibung aus dem letzten Abschnitt beträchtlich bereichert. Im Rest dieses Kapitels (sowie in den Kapiteln 5, 6 und 9) werden wir einige besonders wichtige Fortschritte kennenlernen; hier möchte ich aber zunächst auf drei übergeordnete Punkte hinweisen.
Erstens: Wenn man in der Physik
Weitere Kostenlose Bücher