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Die verborgenen Bande des Herzens

Die verborgenen Bande des Herzens

Titel: Die verborgenen Bande des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Deveney
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Unbehagens. Es steht nicht einfach ruhig da, wie ein leeres Haus es normalerweise tut. Es gibt keine konkrete Veranlassung, alarmiert zu sein, und dennoch beschleicht mich ein banges Gefühl, während ich mit vorsichtigen Schritten über den vereisten Pfad auf das Haus zugehe. Mein Herz schlägt schneller, als ich den Schlüssel ins Schloss stecke. Ich drücke gegen die Tür, die langsam aufschwingt. Da drinnen ist jemand. Ich spüre es einfach. Ich bleibe auf der Schwelle stehen, spähe hinein, lausche, warte, zu angstvoll, um es zu betreten.
    Ich höre ein Pochen. Den vertrauten Klang schlurfender Schritte.
    »Harry!«
    Ich gehe nun hinein und schalte das Licht in der Diele an. Die Haustür fällt hinter mir ins Schloss.
    »Du meine Güte, Harry, hast du mich gerade erschreckt. Was machst du hier um diese Zeit?«
    Harrys Gesicht ist verkrampft vor Unbehagen, zu einer Maske erstarrt, in der sich so etwas wie Scham spiegelt.
    »Es tut mir leid, Cara. Verzeih mir. Ich habe getan, was ich für das Beste hielt. Wenn es nicht richtig ist … bitte …«
    »Harry, was redest du denn da?«
    Ich höre ein Geräusch aus dem Wohnzimmer, jemand durchquert das Zimmer. Die Tür zur Diele geht auf.
    »Hallo, Carol Ann.«
    Mir bleibt das Herz stehen.
    Harry schaut von einem zum anderen, dann geht er zur Haustür, schließt sie leise hinter sich.
    »Alex …«, flüstere ich.

47. Kapitel
    Karen
    I ch beobachte, wie auf dem Hügel über der Stadt die Morgendämmerung anbricht, gleich einem rot entzündeten Auge, das sich am Himmel mühsam öffnet. Im Auto ist es eiskalt, und ich habe einen steifen Hals, weil ich, den Kopf gegen die Scheibe der Fahrertür gelehnt, schon so lange Zeit dasitze und dabei eingedöst bin. Mein Schoß ist mit Krümeln übersät von dem Sandwich, das ich an einer Tankstelle gekauft, zur Hälfte gegessen und wieder weggelegt habe, und das nun mit angetrockneten Rändern in der geöffneten Packung auf dem Beifahrersitz liegt. Ein Fettfleck verunziert meine schwarze Hose. Rosafarbene Strahlen durchbrechen jetzt das Dunkel und tauchen die grauen Gebäude unterhalb des Hügels in warmes Licht.
    Ich hatte nicht vorgehabt, die ganze Nacht dort auszuharren. Ich habe einfach das Stadium verpasst, in dem ich noch nach Hause hätte fahren können, auch wenn ich niemanden gestört hätte, weil ich ja allein lebe. Vielleicht sollte ich jetzt einfach von hier wegfahren, nicht zurückschauen, nie mehr zurückschauen. Ist das nicht das, was Carol Ann gemacht hat? Sie ist einfach immer weitergezogen. Jemand anderes geworden. Sie lebt, natürlich. Insgeheim war mir immer klar, dass sie lebt. Diese Polizeitaucher, sie werden sie nicht in diesem See finden. Ich schaue aus dem Seitenfenster in die schwindende Dunkelheit und frage mich, wo Carol Ann wohl stecken mag. Wo sie sich aufhält, jetzt, in diesem Moment. Von welchem Ort aus sie beobachtet, wie die Morgendämmerung anbricht. Welches neue Leben hat sie für sich erschaffen?
    Vielleicht könnte ich es ihr nachmachen. An einem bestimmten Punkt sah es ganz danach aus, als könnte ihr altes Leben zu meinem neuen werden. Vielleicht gibt es immer noch Mittel und Wege, das zu erreichen. Ich schüttle eine Zigarette aus der Schachtel, dann überlege ich es mir anders, stecke sie zurück und werfe die Packung auf den Beifahrersitz. Die erste Schachtel Zigaretten seit vier Jahren. Früher, bevor ich mir das Rauchen abgewöhnte, rauchte ich zwanzig Stück am Tag.
    Ich schließe die Augen, sinniere vor mich hin, schalte die Zündung ein wegen der Heizung, schalte sie aus, grüble weiter. Hier im Halbdunkel schwirren mir düstere Erinnerungen im Kopf herum, sie kreisen, immer schneller, wie Feuerräder an Silvester, bis sie sich so schnell drehen, dass das Auge ihre Bewegung nicht mehr wahrnehmen kann. Sie schwirren durch mein Gehirn, diese Schatten aus der Vergangenheit, setzen sich gegen neue Gebilde durch, kollidieren mit ihnen und bringen sie zum Bersten. Sie bemächtigen sich meiner. Früher hat mir diese Vorstellung Angst gemacht, diese Schatten könnten mich aufsaugen, verschlucken. Ich kämpfte erbittert um meine Identität, meine Existenz. Aber ich bin müde geworden. Nun saugen sie mich auf und spucken mich wieder aus, und ich besitze nicht mehr den Kampfgeist, mich dagegen zu wehren.
    Kurz nach neun fahre ich zu Alex’ Büro. Mein Spiegelbild in der gläsernen Schwingtür zeigt mir, wie verlottert und schlampig ich daherkomme, die zerrauften Haare, die zerknitterte

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