Die verborgenen Bande des Herzens
noch nicht fertig mit Ihnen«, sage ich warnend zu Alex. »Und ich weiß, dass ich recht habe.« Er schaut mich an, mit einem Blick voller Verachtung.
»Ich rufe jetzt ein Taxi«, sage ich. Draußen in der Diele stoße ich fast mit Lily und Steve zusammen. Steve hat seine Großmutter in die Arme genommen, nicht wie ein Kind, sondern beschützend, wie ein Mann. Ihr kleiner verhutzelter Altweiberkörper liegt geborgen in seinen langen schlaksigen Armen. Sie hat den Kopf an seine Schulter gelehnt, und aus ihren alten, entzündeten Augen fließen Tränen.
»Ich weiß, Gran«, sagt Steve leise, »Ich weiß. Ich auch.«
Dann werden sie sich bewusst, dass ich in den Flur getreten bin und hinter ihnen stehe, doch das, was jetzt zwischen den beiden abläuft, ist zu wichtig, um es abrupt abzubrechen. Steve richtet sich langsam auf. Ich gehe um die beiden herum.
»Komm schon, Gran«, sagt Steve. »Geh wieder ins Bett. Ich bringe dir eine Tasse Tee.« Seine Stimme hat die trotzige Streitlust des Halbwüchsigen abgelegt. Sie hängt verloren irgendwo im Raum zwischen Kindheit und Erwachsensein. Lily nimmt dankbar seine ausgestreckte Hand.
Wenn man mit jemandem schläft, den man liebt, wird dabei angeblich ein bestimmter Stoff produziert, der einen emotional an den Partner bindet. Danach ist man von großer Zärtlichkeit für den anderen erfüllt. Ich kann nicht behaupten, dass ich je so empfunden hätte. Vielleicht, weil ich, ehrlich gesagt, nicht glaube, dass ich je nach Liebe gesucht habe. Ich hatte stets nur Interesse am Sex.
Gav dreht sich auf den Bauch und küsst mich auf den Nacken.
»War es schön für dich?«, murmelt er, und ich muss mich beherrschen, ihn nicht kurzerhand aus meinem Bett zu schmeißen, weil er daherredet, als wären wir in einem kitschigen Film. Alex würde nie so was Bescheuertes sagen.
»Nein«, sage ich und schließe die Augen. »Es war übel.«
Da lacht er nur und vergräbt sein Gesicht an meiner Schulter.
»Ich liebe dich, Karen«, sagt er leise.
Ich schätze, dies ist nicht der richtige Moment, ihm zu sagen, dass es aus ist zwischen uns.
»Karen?«
»Was denn?«
»Ich hab gesagt, ich liebe dich.«
»Ich weiß, und ich kann es dir nicht verdenken. Ich liebe mich auch.«
Da dreht er sich auf den Rücken und lacht sich schief. Er ist so was von dämlich, unser guter Gav. Er denkt immer, ich mache nur Witze.
22. Kapitel
Carol Ann
D ie Arbeiten an dem kleinen Strandhaus haben begonnen. Der Sohn eines Freundes eines Freundes von Sean – so funktioniert das hier. Er macht den Umbau schwarz, in seiner Freizeit, deshalb wird er den ganzen Winter brauchen. Er ist noch ein junger Kerl, Ende zwanzig, würde ich sagen, höchstens Anfang dreißig, bin gespannt, ob er überhaupt an den Wochenenden Lust haben wird, für mich zu arbeiten. Andererseits hat er keine Familie. Niemanden, der erwartet, dass er abends zu Hause bleibt.
Er heißt Michael. Er redet kaum mit mir. Wenn ich ihn etwas frage, bekomme ich als Antwort meist nur ein mürrisches Grummeln. Ständig hat er die Augen niedergeschlagen, weigert sich, mich direkt anzusehen, doch manchmal spüre ich seinen verstohlenen Blick, halb verdeckt von dunklen dichten Wimpern.
Bevor wir mit den eigentlichen Arbeiten beginnen können, muss schlicht und ergreifend erst einmal aufgeräumt werden: den Boden von Schafmist und den Scherben der kaputten Fensterscheiben befreien, den Metallrahmen des Stockbetts und den kaputten Kocher entsorgen. Dann muss das Dach neu eingedeckt werden, damit es regendicht ist. Doch obwohl ich aufmerksam zuhöre, als Michael mir umständlich die notwendigen Arbeiten erklärt, bin ich in Gedanken schon viel weiter in der Zukunft. Gelb für die Küche, das blasse Gelb der Frühlingsnarzissen, die, wenn ich dort endlich einziehen kann, auf dem Hügel hinter dem Haus im Wind tanzen werden. Die ganze Zeit, während Michael über den Bauplan und die sanitären Anlagen und den Generator redet, stelle ich mir vor, wie es im Frühling hier sein wird, wenn ich am Fenster in dem briefmarkengroßen Wohnbereich sitzen und dem Rauschen der Brandung unter mir lauschen werde. Wenn ich die Brecher beobachten werde, die schäumend auf den silber glänzenden Strand schlagen.
Harry und ich gehen behutsam miteinander um, als wir uns das nächste Mal treffen. Die Behutsamkeit ergibt sich daraus, dass wir beide bereit sind, sich in den anderen einzufühlen, Verständnis füreinander zu haben. Harry kommt vom Friedhof und klopft sachte an
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