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Die verborgenen Bande des Herzens

Die verborgenen Bande des Herzens

Titel: Die verborgenen Bande des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Deveney
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darauffallen. »Nein.« Er streckt die Hand aus und streicht sachte über die pinkfarbene Seide, dann nimmt er die Perlenkette in die Hand. »Patsy hasste es, einkaufen zu gehen. Egal, was sie trug, sie hat sich nie richtig wohl darin gefühlt.«
    Die Kleider liegen in einem Haufen auf dem Bett, ein Sammelsurium der unterschiedlichsten Farben und Stile, ohne gemeinsame Linie, ohne erkennbare persönliche Note, einfach dies und jenes zusammengekauft bei der verzweifelten Suche nach etwas, das ihr stehen könnte. Die Wände des Zimmers scheinen plötzlich näher zu rücken und den Raum kleiner zu machen. Was tue ich hier mit einem Wildfremden? Ich kenne ihn nicht. Nicht wirklich. Ich bin nicht verantwortlich für ihn. Ich schaue zur Tür, drehe mich zu Harry um, will irgendeine Entschuldigung murmeln. Aber er sieht so verloren aus, so elend, wie er dasitzt auf dem zerknitterten geblümten Sommerkleid, ein Ärmel der pinkfarbenen Seidenbluse über seinem Knie. Ich zögere, dann setze ich mich, ein gutes Stück weg von ihm, auf das Bett, lege die Hände auf die Knie und lasse auch mich einhüllen von dem Schweigen. Ich spähe zur Seite, sehe, wie ein Muskel in seinem Gesicht zuckt. Ich strecke den Arm nach ihm aus. Harry schaut nicht her zu mir, aber seine Hand, die immer noch die Perlen umklammert, ergreift meine Hand, und dann sitzen wir da, halten uns an den Händen, die Perlen drücken sich in unsere Handflächen.
    »Harry«, sage ich, »Harry …« Aber er will mich nicht anschauen. »Patsy hat so viel Glück gehabt …«
    Meine Worte scheinen ihn traurig zu machen. Der Muskel zittert stärker, seine ganze Wange bebt, aber immer noch blickt er starr geradeaus.
    »Sie muss gewusst haben, dass Sie sie lieben, Harry … so sehr lieben.«
    Mein Blick wandert durch den apricotfarbenen Schrein, das Zimmer, in dem eine Tote immer noch lebt. »Es ist so wichtig, dass man nicht nur geliebt wird, sondern auch weiß , dass man geliebt wird«, sage ich leise. »Und Patsy muss es gewusst haben.«
    Seine Wange zittert nun heftig, seine Wand aus Granit kann jeden Moment einstürzen und zu einer Wolke puderfeinem Staub zerbröckeln. Sein Griff um meine Hand verstärkt sich, ich spüre, wie sich die Perlen tiefer in meine Handfläche graben.
    »Am Ende«, setze ich meinen Sermon fort, »zählt nur, dass man sein Leben mit dem richtigen Partner verbracht hat. Was könnte schlimmer sein, als zu spüren, dass das Ende naht, und zu wissen, dass nichts so war, wie es hätte sein sollen, dass alles umsonst war. Gibt es denn eine grausamere Erkenntnis als diese, wenn man im Sterben liegt?« Die Träne, die seit ein paar Sekunden in Harrys Auge blinkt wie ein kleiner See, sprengt nun endgültig ihr Ufer und quillt heraus, rinnt ihm über die Wange, tropft auf sein Hemd und hinterlässt einen feuchten Fleck auf dem Kragen.
    In meiner Dummheit denke ich, dass trotz seiner offensichtlichen Traurigkeit meine Worte irgendwie hilfreich für ihn sind, dass die Träne Katharsis signalisiert, nicht Hoffnungslosigkeit. Später werden diese Worte mich heimsuchen.
    »Doch Patsy, sie hatte diese schreckliche Erkenntnis nicht …«, fahre ich mit sanfter Stimme fort und drücke dabei behutsam seine Hand, um seine Aufmerksamkeit zu sichern. »Sie hatte Sie.«
    Da endlich dreht er sich her zu mir, sieht mich an, lässt mein Hand los.
    »Aber das stimmt nicht«, sagt er, mit einer Stimme, leise und niedergeschlagen, die sich schrecklich anhört. »Es war nicht so. Weil ich nicht … ich … ich …« Er stockt. »Ich habe Patsy all diese Jahre nicht geliebt«, sagt er schließlich. »All diese Jahre lang. Ich habe sie nie so geliebt, wie ich sie hätte lieben sollen. Verstehen Sie? Erst, als es zu spät war.«
    Dann steht er von dem Bett auf, stützt sich auf seinen Stock, bewegt sich mit seiner Hilfe vorwärts. Ruhig sammelt er die Perlenkette ein und legt sie ordentlich in das Etui und dann in das Regalfach zurück. Ich sitze schweigend auf dem Bett und beobachte ihn, wie er systematisch ein Kleidungsstück nach dem anderen nimmt und wieder auf einen Bügel und dann zurück in den Schrank hängt. Jetzt geht etwas Stilles von ihm aus. Fast ist es unheimlich. Es erinnert mich an diese unnatürliche Ruhe, die einem Sturm folgt; wenn man nicht glauben kann, dass der Tumult tatsächlich vorbei ist. Doch vorbei ist vorbei. Harry schließt die Schranktür und geht ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer, stapft mit seinem Stock die Treppe hinunter und lässt mich

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