Die verborgenen Fruechte
gerade:
»Ich weiß nicht, was ihr anderen vom Nacktposieren haltet, aber ich liebe es. Schon als kleines Mädchen zog ich mich gern aus. Es gefiel mir, wenn die Leute mich anstarrten. Auf Parties legte ich, sobald die Leute ein bißchen betrunken waren, die Kleider ab. Ich zeigte gern meinen Körper.
Jetzt kann ich es jedesmal kaum erwarten, bis ich mich ausziehen darf. Ich genieße es, wenn man mich betrachtet. Es macht mir Vergnügen. Wenn Männer mich ansehen, laufen mir köstliche Schauer über den Rücken.
Und wenn ich in der Kunstschule vor einer ganzen Malklasse posiere, wenn ich die vielen Blicke sehe, die auf mir ruhen, verschafft mir das ein so großes Vergnügen, daß es mir ist, als… na ja, als würde ich von einem Mann geliebt. Ich fühle mich schön, ich fühle mich, wie Frauen sich manchmal wohl fühlen, wenn sie sich für einen Liebhaber ausziehen. Ich genieße meinen eigenen Körper. Ich posiere gern mit meinen Brüsten in den Händen. Manchmal liebkose ich sie auch. Früher war ich mal beim Tingeltangel. Das war wunderbar! Ich genoß es genauso, wie die Männer das Zusehen genossen. Der Seidenstoff des Kleides ließ mich richtig erschauern – und dann entblößte ich meine Brüste, zeigte mich. Das erregte mich unsagbar. Wenn ich von den Männern berührt wurde, erregte mich das nicht halb so sehr; das war jedesmal eine Enttäuschung. Aber ich kenne Mädchen, die anders empfinden.«
»Ich fühle mich gedemütigt«, bekannte ein rothaariges Modell. »Ich habe immer das Gefühl, daß mir mein Körper nicht mehr gehört, daß er durch das Angestarrtwerden keinen Wert mehr besitzt.«
»Ich empfinde überhaupt nichts«, erklärte eine andere. »Ich finde es ganz und gar unpersönlich. Wenn Männer malen oder zeichnen, sehen sie in uns keine menschlichen Wesen mehr. Ein Maler sagte mir einmal, der Körper eines posierenden Modells sei ein Objekt, erotisch angeregt fühle er sich nur, wenn das Modell den Kimono ablege. In Paris ziehen sich die Modelle, wie man sagt, vor den Augen der Klasse aus, und das ist erregend.«
»Wenn es wirklich so unpersönlich wäre«, warf ein anderes Mädchen ein, »würden sie uns hinterher nicht zu ihren Parties einladen.«
»Oder ihre Modelle heiraten«, ergänzte ich, weil ich an die beiden Maler aus meinem Kundenkreis dachte, die ihr Lieblingsmodell geheiratet hatten.
Eines Tages mußte ich auch für einen Buchillustrator posieren. Bei meiner Ankunft fand ich bereits zwei weitere Personen vor, ein Mädchen und einen Mann. Wir sollten zusammen Szenen darstellen, Liebesszenen für eine Liebesgeschichte. Der Mann war ungefähr vierzig, mit einem sehr reifen, sehr dekadenten Gesicht. Er sagte uns, welche Stellungen wir einnehmen sollten. Mir wies er eine Kußpose zu. Wir mußten unsere Pose halten, während der Illustrator fotografierte. Ich war nervös. Ich mochte den Mann nicht. Das andere Mädchen spielte die eifersüchtige Ehefrau, die die beiden überrascht. Wir mußten die Szene oft wiederholen. Jedesmal, wenn der Mann den Kuß andeutete, zuckte ich innerlich zurück, und das spürte er. Er war beleidigt. Seine Augen blickten spöttisch. Ich agierte schlecht. Der Illustrator schrie mich an, als drehten wir einen Film: »Mehr Leidenschaft! Du mußt mehr Leidenschaft zeigen!«
Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie der Russe mich auf dem Heimweg vom Tanzabend geküßt hatte, und das machte mich etwas gelöster. Der Mann wiederholte den Kuß. Und jetzt hatte ich das Gefühl, daß er mich enger an sich drückte als notwendig; und seine Zunge brauchte er bestimmt auch nicht so zwischen meine Lippen zu schieben. Er tat es so schnell, daß ich keine Zeit zum Ausweichen hatte. Der Illustrator nahm sich die nächste Szene vor.
Der Mann sagte: »Ich stehe jetzt seit zehn Jahren Modell. Ich weiß nicht, warum die immer nur junge Mädchen wollen. Junge Mädchen haben keine Erfahrung, keinen Ausdruck. In Europa interessiert sich niemand für junge Mädchen in eurem Alter, also unter zwanzig. Die sind in der Schule oder bleiben zu Hause. Interessant werden sie erst nach der Heirat.«
Während er sprach, dachte ich an Stephen. Ich dachte daran, wie wir am Strand gewesen waren, im heißen Sand gelegen hatten. Ich wußte, daß Stephen mich liebte. Ich wollte, daß er mich nahm. Ich wünschte mir jetzt, sehr schnell zur Frau gemacht zu werden. Jungfrau zu sein, mich ständig wehren zu müssen, gefiel mir nicht. Ich hatte das Gefühl, jedermann müsse mir ansehen, daß
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