Die verborgenen Fruechte
ich noch Jungfrau war, und sei daher um so eifriger bemüht, mich zu erobern.
An jenem Abend ging ich mit Stephen aus. Irgendwie mußte ich es ihm beibringen. Mußte ihm erklären, daß ich Gefahr lief, vergewaltigt zu werden, daß also lieber er es tun sollte. Nein, dann würde er sich Sorgen machen. Wie konnte ich es ihm nur beibringen!
Ich hatte eine Neuigkeit für ihn: Ich war jetzt das Starrmodell. Ich hatte mehr Engagements als alle anderen im Club, ich war begehrter als die anderen, weil ich Ausländerin war und ein außergewöhnliches Gesicht besaß. Oft mußte ich auch am Abend posieren. Das alles berichtete ich Stephen. Er war sehr stolz auf mich.
»Du stehst gern Modell, nicht wahr?« fragte er mich.
»Sehr gern. Ich bin gern mit Malern zusammen, sehe mir ihre Arbeiten an… Ob gut oder schlecht, ich liebe die Atmosphäre, die Geschichten, die ich zu hören bekomme. Es ist stets anders, niemals dasselbe. Es ist das reinste Abenteuer.«
»Machen sie… Gehen sie mit ihren Modellen auch ins Bett?« fragte Stephen.
»Nur, wenn die Mädchen es selber auch wollen.«
»Aber sie versuchen es doch, wie?«
Ich merkte, daß er sich Sorgen machte. Wir gingen durch dunkle Felder vom Bahnhof zum Haus meiner Eltern. Ich wandte mich zu ihm und bot ihm meinen Mund. Er küßte mich. Ich sagte: »Nimm mich, Stephen! Nimm mich! Nimm mich!«
Er war wie vor den Kopf geschlagen. Ich warf mich in die Geborgenheit seiner Arme, ich wollte genommen werden, damit ich es hinter mir hatte, ich wollte zur Frau gemacht werden. Aber er verhielt sich vor Schreck ganz still. »Ich will dich heiraten«, sagte er, »aber das geht jetzt noch nicht.«
»Heiraten interessiert mich nicht.«
Doch jetzt wurde ich mir seines Erstaunens bewußt, und das brachte mich zum Schweigen. Ich war zutiefst enttäuscht von seiner konventionellen Einstellung. Der Augenblick verstrich. Er glaubte, es sei ein flüchtiger Anfall blinder Leidenschaft gewesen, ich hätte lediglich den Kopf verloren. Er war sogar stolz darauf, mich vor meiner eigenen Impulsivität bewahrt zu haben. Ich ging nach Hause und weinte.
Ein Illustrator fragte mich, ob ich wohl am Sonntag posieren könne, er müsse eiligst ein Plakat anfertigen. Als ich kam, war er bereits bei der Arbeit. Es war Vormittag, das Haus schien menschenleer. Sein Atelier lag im zwölften Stock. Er hatte das Plakat zur Hälfte fertig. Ich zog mich rasch aus und warf das Abendkleid über, das er mir gegeben hatte. Er schien mich überhaupt nicht zu beachten. Eine ganze Zeitlang arbeiteten wir friedlich. Ich wurde müde. Er merkte das und machte eine Pause. Ich schlenderte im Atelier umher und betrachtete seine anderen Bilder. Zumeist waren es Porträts von Schauspielerinnen. Ich fragte ihn, wer sie wären. Er antwortete mit Geschichten von ihren sexuellen Neigungen: »Die da, die verlangt Romantik. Sonst kommt man nicht an sie heran. Sie machte es den Männern schwer. Sie ist Europäerin, daher liebt sie es, ausführlich umworben zu werden. Ich selbst gab dabei vorzeitig auf; es war zu anstrengend. Aber sie war sehr schön, und es ist etwas Wunderbares, mit einer solchen Frau ins Bett zu gehen. Sie hatte wunderschöne Augen und eine entrückte Art, fast wie ein Hindu-Mystiker. Da überlegt man sich dann, wie sie wohl im Bett ist.
Aber ich habe noch andere sexuelle Heilige erlebt. Es ist hinreißend, die Veränderung zu erleben, die mit ihnen vorgeht. Die klaren Augen, die so durchsichtig sind, der Körper, der so schöne, harmonische Posen einnimmt, die zarten Hände… wie sie sich verändern, wenn das Verlangen Besitz von ihnen ergreift! Diese sexuellen Heiligen! Wunderbar sind sie, denn es ist jedesmal eine so große Überraschung, eine so große Veränderung. Du, zum Beispiel, mit deinem Gehabe, als hätte noch nie jemand dich berührt – ich sehe es förmlich vor mir, wie du beißt und kratzt… Ich bin sogar sicher, daß deine Stimme sich verändert; erlebt habe ich so etwas schon öfter. Es gibt Frauenstimmen, die klingen wie poetische, unirdische Echos. Und dann verändern sie sich. Die Augen verändern sich. Ich glaube, all diese Sagen über Menschen, die sich bei Nacht in Tiere verwandeln – die Geschichte vom Werwolf, zum Beispiel –, sind von Männern erfunden worden, die sahen, wie Frauen sich aus idealisierten, anbetungswürdigen Wesen in wilde Tiere verwandelten, und sie für besessen hielten. Aber ich weiß, daß es etwas weit Simpleres ist. Du bist noch Jungfrau, nicht
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