Die verborgenen Fruechte
wahr?«
»Nein, ich bin verheiratet«, entgegnete ich.
»Verheiratet oder nicht, du bist noch Jungfrau. Das spüre ich. Mich kann man nicht täuschen. Wenn du verheiratet bist, hat dich dein Mann noch nicht zur Frau gemacht. Findest du das nicht schade? Findest du nicht, daß du nur Zeit verschwendest, daß das richtige Leben erst mit der Sinnenfreude beginnt, mit der Verwandlung zur Frau?«
Dies entsprach so vollkommen meinen Gefühlen, meinem Wunsch, Erfahrungen zu sammeln, daß ich verstummte. Ich wollte es einem Fremden gegenüber nicht eingestehen.
Ich war mir klar darüber, daß ich mit dem Illustrator ganz allein in einem leeren Ateliergebäude war. Ich war traurig darüber, daß Stephen meine Sehnsucht, zur Frau zu werden, nicht verstand. Ich war nicht ängstlich, sondern schicksalsergeben, wünschte mir nur jemanden, in den ich mich verlieben konnte.
»Ich weiß, was du denkst«, sagte der Illustrator, »aber für mich hätte es keine Bedeutung, es sei denn, die Frau würde mich begehren. Ich könnte niemals mit einer Frau schlafen, die mich nicht begehrt. Als ich dich zum erstenmal sah, dachte ich, wie schön es doch wäre, dich zu wecken. Du hast etwas an dir, das darauf schließen läßt, daß du zahlreiche Liebesaffären haben wirst. Und da wäre ich gern der erste. Aber nur, wenn du es willst.«
Ich lächelte. »Genau dasselbe habe ich auch gerade gedacht. Es geht nur, wenn ich es will, und jetzt will ich es nicht.«
»Du darfst diesem ersten Mal nicht so große Bedeutung beimessen. Ich glaube, die Vorstellung, daß der erste Mann, der eine Frau nimmt, absolute Macht über sie besitzt, wurde von den Leuten erfunden, die ihre Töchter für die Ehe bewahren wollten. Ich halte das für Aberglauben, der die Frauen vor der Promiskuität bewahren sollte. In Wirklichkeit trifft es nicht zu. Wenn es einem Mann gelingt, in der Frau Liebe zu wecken, sie in Erregung zu versetzen, wird sie sich zu ihm hingezogen fühlen. Aber um das zu erreichen, genügt es nicht, ihr die Jungfräulichkeit zu nehmen. Das kann jeder Mann, ohne die Frau richtig zu erregen. Wußtest du, daß viele Spanier ihre Frauen nur so nehmen und ihnen viele Kinder machen, ohne sie sexuell jemals richtig zu wecken, nur damit sie sich auf ihre Treue verlassen können? Das Vergnügen hebt sich der Spanier für seine Mätresse auf. Ja, wenn er sieht, daß seine Frau die Sinnenfreude genießt, verdächtigt er sie sofort, treulos oder sogar eine Hure zu sein.«
Die Worte des Illustrators verfolgten mich tagelang. Dann jedoch stand ich vor einem neuen Problem. Der Sommer war gekommen, und die Maler zogen aufs Land, ans Meer, an ferne Orte in alle Himmelsrichtungen. Ich hatte nicht genug Geld, ihnen zu folgen, und war auch nicht sicher, wie viele Engagements ich bekommen würde. Eines Vormittags stand ich Modell für einen Illustrator namens Ronald. Nach der Arbeit setzte er das Grammophon in Gang und bat mich, mit ihm zu tanzen. Beim Tanzen sagte er: »Hättest du Lust, eine Zeitlang mit aufs Land zu kommen? Das würde dir gut tun, du würdest genug Arbeit finden, und ich zahle dir die Reise. Es gibt nur sehr wenige gute Modelle dort. Ich bin sicher, daß du viel zu tun haben wirst.«
Also fuhr ich.
In einem Farmhaus nahm ich mir ein kleines Zimmer. Dann ging ich zu Ronald, der ein Stück weiter die Straße entlang in einer Hütte wohnte, in die er ein großes Fenster hatte einbauen lassen. Zur Begrüßung blies er mir Zigarettenrauch in den Mund. Ich hustete.
»Ach«, sagte er, »du kannst ja nicht mal inhalieren!«
»Das interessiert mich nicht.« Ich stand auf. »Welche Pose soll ich einnehmen?«
»Ach was!« wehrte er lachend ab. »Hier draußen arbeiten wir nicht so fleißig. Du mußt lernen, dich ein bißchen zu amüsieren. Also, jetzt nimmst du mir den Rauch aus dem Mund und dann inhalierst du ihn… «
»Ich will aber nicht inhalieren.«
Er lachte abermals. Er versuchte mich zu küssen. Ich entzog mich ihm. »Oho!« sagte er. »Du willst mir also nicht den Aufenthalt hier verschönern. Du weißt doch, daß ich dir die Reise bezahlt habe, und ich fühle mich hier sehr einsam. Wo ist dein Koffer?«
»Ich habe ein Zimmer in der Nähe.«
»Aber ich hatte dich eingeladen, hier zu wohnen«, protestierte er. »Ich dachte, ich sollte Ihnen Modell stehen.«
»Ich brauche jetzt etwas anderes als ein Modell.«
Ich wollte gehen. »Weißt du«, sagte er, »es gibt hier eine stillschweigende Übereinkunft im Hinblick auf Modelle, die sich
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