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Die verborgenen Fruechte

Die verborgenen Fruechte

Titel: Die verborgenen Fruechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaïs Nin
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daß er schon mit so vielen Frauen zusammen gewesen war. Von der ersten Nacht an schien es, als besitze er nicht sie selbst, sondern eine Frau wie viele hundert andere. Er hatte keinerlei Gefühle gezeigt. Als er sie auszog, hatte er nur gesagt: »Ach, was für breite Hüften du hast!«
    Sie fühlte sich gedemütigt, nicht begehrenswert. Das untergrub ihr Selbstvertrauen, behinderte das freie Verströmen ihrer Liebe und ihrer Sehnsucht nach ihm. Zum Teil aus Rache begann sie ihn ebenso objektiv anzusehen wie er sie, und was sie entdeckte, war ein vierzigjähriger Mann, dessen Haar schütter wurde, der bald schon sehr dick sein würde und der wirkte, als sei er bereit, sich in ein stumpfes Familienleben zurückzuziehen. Er war nicht mehr der Mann, der die ganze Welt gesehen hatte.
    Da kam Robert, dreißigjährig, dunkelhaarig, mit brennenden, braunen Augen wie ein Tier, das zugleich hungrig und zärtlich dreinblickt. Er war fasziniert von Ednas Stimme, von ihrem samtweichen Klang. Er war von ihr restlos in Bann geschlagen.
    Er hatte gerade das Stipendium einer Bühnengesellschaft gewonnen. Er teilte Ednas Liebe zur Bühne. Er erneuerte ihren Glauben an sich selbst, an ihre eigene Anziehungskraft. Er war sich nicht einmal so ganz klar darüber, daß es wirkliche Liebe war. Er behandelte sie ungefähr wie eine ältere Schwester, bis sie eines Tages hinter der Bühne, als alle anderen nach Hause gegangen waren und Edna ihm seinen Text abgehört hatte, in einen Kuß versanken, der nicht mehr endete. Er nahm sie auf dem Sofa der Bühnendekoration, ungeschickt, hastig, aber mit einer so großen Intensität, daß sie ihn fühlte, wie sie ihren Mann niemals gefühlt hatte. Seine lobenden, bewundernden Worte, seine staunenden Ausrufe entflammten sie, und sie erblühte in seinen Händen. Sie fielen zu Boden. Der Staub drang ihnen in die Kehle, aber sie hörten nicht auf, sich zu küssen, zu liebkosen, und Robert bekam eine zweite Erektion.
    Edna und Robert waren unzertrennlich. Ihr Alibi Harry gegenüber war ihr Schauspielstudium. Es war eine Zeit des Rausches, der Blindheit, des Lebens ausschließlich mit Händen, Mund und Körper. Edna ließ Harry allein auf Kreuzfahrt gehen. Daher war sie für sechs Monate frei und lebte heimlich zusammen mit Robert in New York. Seine Hände besaßen eine so große magnetische Kraft, daß seine Berührung, und sei es nur seine Hand auf ihrem Arm, sie ganz und gar mit Wärme erfüllte. Sie war stets offen und empfänglich für seine Gegenwart. Und er empfand das gleiche in bezug auf ihre Stimme. Um sie zu hören, rief er sie zu allen Tageszeiten an. Sie war wie ein Lied, das ihn aus sich selbst und aus seinem eigenen Leben herauslockte. Alle anderen Frauen wurden von ihrer Stimme ausgelöscht.
    Er drang ein in ihre Liebe mit einem absoluten Gefühl des Besitzens, der Sicherheit. Sich in ihr zu verbergen, in ihr zu schlafen, sie zu nehmen, sich an ihr zu erfreuen war ein und dasselbe. Es gab keine Spannungen, keine Augenblicke widerstreitender Gefühle, keinen Haß. Ihre Liebe wurde nie wild und grausam, niemals zu einem tierischen Akt, bei dem der eine den anderen zu vergewaltigen, das Eindringen in den anderen zu erzwingen, den anderen mit Gewalttätigkeit oder Begierde zu verletzen sucht. Nein, es war ein miteinander Verschmelzen, ein gemeinsames Versinken in einem weichen, dunklen, warmen Schoß.
    Harry kehrte heim. Und gleichzeitig kam Dorothy aus dem Westen zurück, wo sie ihre Bildhauerkunst ausgeübt hatte. Sie war jetzt sehr selbstsicher geworden, ähnelte einem Stück hochglanzpoliertem Holz; ihre Züge waren fest und klar, die Stimme erdhaft, die Beine stämmig, das Wesen hart und kraftvoll – wie ihre Arbeiten.
    Dorothy sah, was mit Edna vorging, wußte aber nicht, wie sehr entfremdet sie Harry war. Sie glaubte Robert schuld an der Situation und haßte ihn dafür. Sie hielt ihn für einen flüchtigen Liebhaber, der Harry und Edna nur zum Vergnügen auseinandergebracht hatte. Sie glaubte nicht, daß es Liebe war. Sie bekämpfte Robert. Scharf, heftig. Sie selbst glich einer unzugänglichen Jungfrau, doch, keineswegs puritanisch oder zimperlich. Sie war so freimütig wie ein Mann, gebrauchte derbe Ausdrücke, erzählte zotige Geschichten, lachte über Sex. Und blieb doch für all das unzugänglich. Frohlockend spürte sie Roberts Feindseligkeit. Sein Feuer, die zornigen Dämonen in ihm, die nach ihr schnappten, sie anfauchten, gefielen ihr. Denn die Tatsache, daß die meisten

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