Die Verborgenen

Aussortierter Müll als erste Sitzreihe bei einer Hinrichtung. Auf all diesen Stühlen, dahinter und dazwischen: Maries Kinder.
    Bryan schob sich nach rechts, entlang einer rauen, unregelmäßig geformten Wand. Zwischen den dicht gedrängten Körpern erkannte er eine schmale Steintreppe, die nach unten führte, genau wie Aggie berichtet hatte. Niemand schien sie zu benutzen, sodass auch er diesen Weg nicht nehmen konnte, wenn er nicht auffallen wollte.
    Er ging weiter nach rechts zwischen der Wand und den Zuschauern hindurch. Die meisten Monster (oder Menschen) machten sich nicht einmal die Mühe, sich umzudrehen und ihn anzusehen. Und warum hätten sie das auch tun sollen? Bryan fühlte sich richtig an, Bryan roch richtig, denn er war einer von ihnen .
    Er konnte hinab in die Höhle sehen. Nichts von dem, was Aggie gesagt hatte, hatte Bryan darauf vorbereitet. Es war tatsächlich eine Arena, ein länglicher freier Raum, von einer unregelmäßig geformten Kuppeldecke überwölbt und groß genug für ein Hockeyfeld. Der Boden, der sich etwa neun Meter unter ihm befand, war von kurvigen, sich schneidenden Gräben durchzogen. Rechts von Bryan, am Ende der länglichen Höhle, befand sich ein weitgehend zerstörtes jahrhundertealtes Schiffswrack.
    Auf dem blutbespritzten Bug stand Rex Deprovdechuk. Er trug ein Cape aus rotem Samt und eine Krone. Mehrere Monster umgaben Rex. Bryan erkannte Sly aus seinen Albträumen und die Kreatur mit dem Hundegesicht aus dem Kampf in der Klinik. Er wusste sofort, dass es sich bei dem hochgewachsenen Wesen mit dem schwarzen Fell um den Erstgeborenen handelte.
    Der Erstgeborene hielt jemanden vor sich fest – jemanden in einer schlecht sitzenden Freizeitjacke. Pookie Chang, an Händen und Füßen gefesselt, hilflos.
    Am liebsten wäre Bryan losgestürmt, doch er zwang sich, innezuhalten. Er hatte nur einen Versuch. Er konnte es sich nicht erlauben, irgendetwas zu vermasseln.
    Neben dem Erstgeborenen stand ein nerviger Junge mit einem entsetzlich aufgeblähten Bauch, der ständig ein silbernes Zippo-Feuerzeug auf- und zuschnippte. Dieses Wesen kannte Bryan nicht. Der nervige Junge tat einen Schritt zur Seite, sodass eine Frau mit rabenschwarzem Haar zu erkennen war.
    Robins Mörderin.
    Ein weißer abgebrochener Mast erhob sich aus der Mitte des Decks. Ganz oben an diesem Mast erkannte Bryan Jebediah Erickson – gekreuzigt , die Hände an einen hölzernen Querbalken genagelt.
    Hinter dem Mast befand sich eine Reihe von Pfosten, die aus dem Deck ragten. An jeden von ihnen war ein Mensch gefesselt worden: Zou, ihre Töchter, Mr. Biz-Nass, Rich Verde, Sean Robertson. Drei weitere Pfosten waren leer.
    Hinter den Pfosten erhob sich ein Aufbau, der wie eine ziemlich ramponierte Kapitänskajüte aussah. Etwas bewegte sich darin, doch Bryan konnte nicht erkennen, was es war. Die grölende Menge rief nach Rex’ Entscheidung. Der Junge streckte sich. Noch immer hielt er die Faust hoch, den Daumen parallel zum Deck.
    Bryan konnte keinen Augenblick länger warten. Er schob sich weiter auf dem Sims voran, glitt an den Mitgliedern seiner Familie vorbei und kam dem Schiff immer näher.
    Er griff in seine Tasche und zog den kleinen Kasten heraus.
    Pookie versuchte nicht länger, sich zu wehren. Er hatte es versucht. Doch der Teufel selbst hielt ihn in seinem eisernen Griff. Die über zwei Meter große, schlanke und muskulöse Kreatur mit dem schwarzen Fell trug Kampfstiefel und Jeans. In jedem seiner beiden an den Oberschenkeln befestigten Holster steckte eine MK23. Im Gesicht der Kreatur war das schwarze Fell grau meliert.
    Pookie konnte sich nicht bewegen.
    Ein verrückter Gedanke – vielleicht hielt Rex ihn für unschuldig, vielleicht drehte sich der Daumen nach oben .
    Rex stand auf Zehenspitzen. Er sah Pookie mit einem irren Lächeln an. Dann drehte er den Daumen nach unten und schwang seine Faust in Richtung Deck wie ein Sänger, der ein Rock-Crescendo beendet.
    »Erstgeborener«, sagte er. »Führe die Hinrichtung aus.«
    Diesmal würde Pookie die Augen nicht schließen.
    Heilige Maria, Mutter Gottes, voll der Gnaden …
    Eine fellbedeckte Hand legte sich um seinen Nacken. Der Erstgeborene zog Pookie näher an sich heran. Seine schräg stehenden grünen Augen funkelten vor Erregung angesichts der bevorstehenden Aufgabe.
    Erlöse uns von dem Bösen, wenn ich auch wandelte im finsteren Tal … im finsteren Tal des Todes, im …
    Scheiße. Was für ein grandioser Moment, das Vaterunser zu