Die Verborgenen
hatte, hatte sie im Innersten getroffen. »Gut. Ich werde Ihnen alles erzählen. Aber das ist dann das letzte Mal.«
Pookie nickte.
»Wie Sie sehen können, geht mein Fenster direkt auf die Geary. Ich blicke häufig auf die Straße hinab. Ich mag es, Menschen zu beobachten, und ich versuche mir vorzustellen, welche Geschichte sie wohl haben.«
Vor dem Fenster erreichten die ersten Sonnenstrahlen den Asphalt. Diese Frau hatte tatsächlich im entscheidenden Augenblick aus dem Fenster gesehen? Bryan wäre es am liebsten gewesen, wenn sich Pookie auf den wichtigsten Punkt konzentriert und den Teil mit dem Schlangengesicht direkt angesteuert hätte, doch Pookie führte seine Befragungen so durch, wie er es für richtig hielt, und Bryan musste sich gedulden.
»Um drei Uhr nachts?«, fragte Pookie. »Ist das nicht ein bisschen spät, um Leute zu beobachten?«
»Ich schlafe nicht besonders gut«, sagte Tiffany. »Die Gedanken an die eigene Sterblichkeit, verstehen Sie? Daran, wie alles einfach … enden wird. Aber seien Sie unbesorgt, junger Mann. Sollten Sie jetzt noch nicht daran denken, werden Sie es schon sehr bald tun.«
Pookie nickte. »Gedanken an die eigene Sterblichkeit bringt auch meine Arbeit mit sich. Bitte, fahren Sie fort.«
Tiffany tat es. »Ich sehe also aus dem Fenster und entdecke diesen jungen Mann auf der anderen Straßenseite. Er trägt eine dunkelrote Jacke. Ich habe ihn schon früher gesehen. Zusammen mit drei anderen jungen Leuten ist er ständig auf der Straße unterwegs. Ich erkenne ihn, denn sie alle tragen dieselben Farben – Dunkelrot, Weiß und Gold. Aber heute Nacht ist dieser Junge allein.«
Pookie schrieb etwas in sein Notizbuch.
»Der Junge ging schnell«, sagte Tiffany. »Dadurch wurde ich auf ihn aufmerksam. Er sah sich ständig um. Anscheinend fürch tete er, dass ihn jemand verfolgte. Dann ließen sich die Penner herabfallen.«
Bryan drehte sich vom Fenster weg. Ließen sich herabfallen?
»Ließen sich herabfallen«, sagte Pookie, als spräche er Bryans Gedanken aus. »Sie sagten, die ließen sich herabfallen . Von wo?«
Tiffany zuckte mit den Schultern. »Vom Dach des Apartmentblocks auf der anderen Straßenseite, könnte ich mir vorstellen. Es war, als ob sie von Fenstersims zu Fenstersims fielen. Aber nicht wie bei einem Unfall. Sondern geplant.«
»Verstehe«, sagte Pookie. »Und Sie konnten sie deutlich erkennen?«
Wieder zuckte sie mit den Schultern. »So gut, wie das bei diesem Licht und angesichts der Geschwindigkeit, mit der sie sich bewegten, eben möglich war. Sie ließen sich fallen, packten ihn und stiegen wieder nach oben.«
Pookie kritzelte etwas in sein Notizbuch. »Und wie schafften sie es nach oben? Über die Feuerleiter?«
Sie schüttelte den Kopf und starrte irgendeinen Punkt im Zimmer an. »Sie kletterten genauso hinauf, wie sie heruntergekommen waren. Von Fenster zu Fenster. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so hoch springen konnte. Hören Sie, es war nicht so, als klebten sie wie Spider-Man an den Wänden. Es war eher wie bei einem Eichhörnchen, das einen Baum hinaufhüpft. Sie kletterten die vier Stockwerke so schnell hinauf, dass ich es kaum glauben konnte.«
Bryan sah hinüber zu dem Gebäude auf der anderen Straßenseite und versuchte sich vorzustellen, was Tiffany gesehen hatte. Selbst wenn es jemandem gelang, von Fenstersims zu Fenstersims zu klettern – vielleicht, weil er eine Art Akrobat war –, würde er die vier Stockwerke niemals besonders schnell schaffen.
Pookie nickte und schrieb, als wäre es etwas völlig Alltägliches, zu hören, dass jemand eine Häuserfassade hinaufkletterte. »Sehr gut«, sagte er. »Und könnten Sie die Männer bitte beschreiben?«
Tiffany räusperte sich. »Sie waren groß. Vielleicht volle dreißig Zentimeter größer als der Junge, wenn nicht noch mehr. Sie hatten schmutzige Decken um die Schultern geschlungen.«
»Sie haben vorhin von Pennern gesprochen?«, sagte Pookie in fragendem Ton.
»Das war meine erste Reaktion«, antwortete Tiffany. »Ich meine, wenn ich diese Menschen zusammengekauert auf der Straße sehen würde, würden sie mir wahrscheinlich nicht einmal besonders auffallen. Solche Menschen begegnen einem die ganze Zeit, die armen Seelen. Aber diese Männer … na ja, ihre Decken … die schienen irgendwie locker zu sitzen. Sodass sie ein wenig von ihren Gesichtern zurückrutschten.« Sie starrte in eine Ecke des Zimmers. Als sie weitersprach, geschah das mit einem kaum
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