Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
Gefangenschaft. Zweimal hatten sie seither das Camp gewechselt. Aus Gründen, die sie nicht kannten, hatte man sie vor ungefähr einem Jahr in dieses Lager am Rande von Rabaul gebracht. Der Soldat ging weiter, das Gewehr über der Schulter. Das Lager war von Stacheldraht umgeben, dabei hätten sich die Japaner den Aufwand weiß Gott sparen können. Wohin hätten sie schon fliehen sollen? Vor ihnen das Meer, hinter ihnen der Dschungel. In welche Richtung wäre eine Flucht möglich gewesen? In die Berge New Britains, wie ihre geliebte Gazelle-Halbinsel nun hieß? Oder besser nach New Ireland? Oder doch lieber nach Bougainville?
Manchmal wurden die Freundinnen vom Galgenhumor gepackt, und dann malten sie sich aus, wie sie heimlich in Richtung Festland davonfliegen würden, wenn die Wachen mal wieder über ihrem Kartenspiel eingedöst waren. Phebe war 81 und dünn wie ein Stock; sie konnte kaum noch bis zum anderen Ende des Camps gehen. Ihre Haut glich von der Sonne geblichenem Leder, und ihre porösen Knochen knackten, wenn sie vom Boden aufstand oder sich zu bücken versuchte. Der Soldat setzte sich in den Schatten eines Bananenbaums.
»Komm, leg dich wieder hin. Um diese Zeit ist es draußen einfach zu heiß.« Phebe gehorchte und folgte Johanna zu ihrer Matte. Die jüngere Frau hielt sie bei den Händen, während Phebe sich langsam zu Boden gleiten ließ. Der Mund verzog sich vor Schmerzen, doch kein Wehlaut kam über Phebes Lippen. Von hier aus hätte sie auf den schwarzen Sand und die gleißende See hinausschauen können, doch ihr Kopf lag auf dem Holzblock, der als Kissen diente, und sie hatte die Augen geschlossen. Johanna strich der Freundin mit der Hand eine weiße Strähne aus der Stirn.
»Woran denkst du, Miti?«
Phebe atmete langsam aus.
»Weißt du, dass meine Schwester Emma schon seit dreißig Jahren tot ist? Dreißig Jahre! Ach, liebste Emma. Gunantambu, das wundervolle Haus mit der breiten Treppe. Die riesigen Muscheln im Garten. Mördermuscheln nannten wir sie. Der flammend rote Poincianabaum vor den Fenstern.« Johanna hielt Mitis Hand und hörte zu, obwohl sie die alten Geschichten längst auswendig kannte. »Ich erinnere mich daran, als wäre es erst gestern gewesen, wie ich mit meiner Schwester auf der Veranda sitze. Es muss im Dezember gewesen sein, weil doch der Baum in voller Blüte stand. Es war heiß, und wir trugen unsere guten weißen Musselinkleider, weiße Schuhe und Strumpfhosen. Kannst du dir das vorstellen? Im Sommer?« Phebe öffnete kurz die Augen, und Johanna schüttelte pflichtschuldig den Kopf. »Jede von uns hatte je einen grünen und eine roten Papagei auf dem Handrücken sitzen. Wenn wir nicht aufpassten und unsere Gesichter zur Abkühlung in die Meeresbrise hielten, krallten die Vögel sich fester in unsere Haut. Wer von uns zuerst aufschrie, hatte verloren. So verbrachten wir die Zeit bis zum Lunch, zu dem die deutschen Marineoffiziere geladen waren. Manchmal gab es zu solchen Anlässen mehr als zwanzig Gänge. Das Mittagessen war immer europäisch und nur vom Feinsten. Dazu kistenweise Pommery und Veuve Clicquot. Veuve heißt Witwe. Ich bin bereits seit fast vierzig Jahren Witwe, und du?«
Johanna drehte den Kopf weg. Sie wollte jetzt nicht darüber reden, wie sie bereits zweimal zur Witwe geworden war. Miti wusste es ohnehin und war in Gedanken längst woanders. Die alte Frau galoppierte sowieso durch ihre Erinnerungen wie ein junges Fohlen über die Weide, hielt inne, wo etwas ihr Interesse weckte, um gleich wieder ungestüm davonzustolpern, sobald etwas anderes ihre Aufmerksamkeit erregte. Johanna musste über ihren eigenen Vergleich lächeln und fuhr der Freundin liebevoll über die feuchte Stirn. Vor ihr mochte eine alte Frau liegen, deren Körper sie allmählich im Stich ließ, doch ihr Geist wurde noch immer von hellen Blitzen durchzuckt.
Jetzt wandte Phebe ihr den Kopf zu.
»Hörst du mir überhaupt zu? Habe ich dir den Mund schon wässrig gemacht? All das Essen. Und jetzt? Ich wiege wohl kaum mehr als vierzig Kilo. Schau nicht so mitleidig, sehr viel mehr hast du auch nicht auf den Rippen, meine Liebe! Kaum zu glauben, dass ich mal ein Schwergewicht war. Wir Samoanerinnen werden alle fett, wenn wir alt sind. Aber so ein japanisches Camp, das hält schlank.«
Die Frauen kicherten. »Talofa! Herzlich willkommen «, fügte Phebe hinzu, und die Frauen brachen in Gelächter aus.
Der Soldat erwachte aus seinem Nickerchen, als er die Frauen hörte. Er erinnerte
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