Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
als würde sie frieren.
»Eine Chance wie diese«, fuhr Lambert unbeeindruckt fort, »bekommt man meiner Erfahrung nach nur einmal im Leben. Wie ich Sie kenne – zugegebenermaßen nicht überaus gut –, füllt diese Organisation genau die Leere, die Sie in Ihrem beruflichen Werdegang bislang zu empfinden scheinen.«
Katja glaubte nicht recht zu hören. Was maßte sich Lambert da an? Die Enttäuschung über seine Reaktion zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Verdammt, sie hätte es besser wissen müssen. Sich diesem Mann anzuvertrauen war ein Fehler gewesen.
»Ach ja? Welche emotionale Lücke haben Sie denn da bei mir ausmachen können?« Sie klang pikiert, doch falls Lambert diesen Unterton bemerkt haben sollte, überging er ihn.
»Lassen Sie mich kurz überlegen.« Er trommelte mit den Fingern auf dem Tisch herum und stierte die Decke an. Nach einer Weile begann er wieder zu reden. »Meines Erachtens suchen Sie eigentlich nach einer Tätigkeit, die größeren Einfluss hat als Ihre bisherige Arbeit im Krankenhaus. Eine, die weit über das unmittelbare Wohlbefinden des einzelnen Patienten hinauswirkt.« Er sah sie an. »Aber das ist natürlich nur meine Meinung. Was denken Sie denn?«
Katja blickte wie ertappt zur Seite. Was er da sagte, stimmte. Jetzt fühlte sie sich einigermaßen zerknirscht, weil sie Lambert offenbar falsch beurteilt hatte und er, entgegen ihrer ersten Einschätzung, sehr wohl imstande war, sich in sie hineinzuversetzen. Katja wunderte sich. Ganz zu Anfang, als er sie für die neue Ärztin gehalten hatte, da waren sie einmal aneinandergeraten, weil sie das hiesige Gesundheitssystem kritisiert hatte. Doch seither hatten sie über derart Grundsätzliches eigentlich nicht mehr gesprochen.
»Sie haben recht«, sagte sie versöhnlich, »es geht mir tatsächlich um mehr. Nicht um einzelne Patienten, sondern darum, neue Strukturen zu schaffen, die das Gesundheitswesen grundlegend verbessern. Es geht mir darum, Menschen ohne Lobby darin zu unterstützen, nicht von der Wirtschaft überrollt zu werden. Es geht mir darum, dass Einheimische sich zumindest halbwegs auf Augenhöhe mit den sogenannten Investoren messen können.«
Lambert rieb sich die Wange. Sein Mut sank, als er das Leuchten in Katjas Augen sah. Mit dem Angebot ihres Großvaters konnte der Job im St. Mary’s nicht mithalten. Er hatte Angst, sie zu verlieren. Während er noch über die Konsequenzen nachdachte, die Katjas Weggang nach sich ziehen würde, berührte sie ihn am Arm.
»Aber da ist etwas anderes, das ich Ihnen ebenfalls erzählen muss.« Lambert sah sie an. »Ich habe eine Entdeckung gemacht, die meine Familie zu Fall bringen kann.« Ein Frösteln durchlief Katjas Körper.
»Erzählen Sie schon!« Er wollte endlich die ganze Geschichte hören.
»Alles hat mit diesen Briefen angefangen, die Johanna an Miti geschrieben hat. Sie waren unter anderem der Grund, weshalb ich nach Australien geflogen bin.«
»Ich erinnere mich. Auf dem Absender stand Mount Isa, richtig?«
»Ja. Dort habe ich einiges über Johannas Sohn Martin erfahren.« Katja machte eine Pause, wandte verlegen das Gesicht ab, weil ihr die Tränen kamen.
»Was ist?«, fragte Lambert. Katja schüttelte den Kopf, sah zu Boden, ehe sie weitersprach.
»Nichts. Es ist nur … dieser Martin, er lebte zuletzt auf Tasmanien.« Sie hob den Blick. »Michael, mein verstorbener Mann, ist auf Tasmanien ums Leben gekommen, und all die Jahre habe ich eine Reise dorthin erfolgreich vermieden.« Sie lächelte, doch in ihren Mundwinkeln zuckte es.
»Ich verstehe. Deshalb waren Sie also dort. Erinnern Sie sich? Ich habe versucht, Sie telefonisch zu erreichen, weil ich mir Sorgen um Sie gemacht hatte.« Er griff nach ihrer Hand, doch Katja entzog sie ihm mit einem vagen Lächeln.
»Ja, tut mir leid, ich hätte Sie zurückrufen sollen. Ich bin also von Mount Isa nach Tasmanien geflogen, wo ich mit einigem Glück Martins Enkelin ausfindig machen konnte. Obwohl ich für sie eine Fremde war, hat sie mir einen Einblick in das Tagebuch von Johanna gewährt. Ihr Vater hatte es ohne das Wissen der Familie in der Scheune vergraben. Rosie fand es zufällig bei irgendwelchen Bauarbeiten und hütet es seither wie einen Schatz. Sie erzählte mir vom sogenannten Baining-Massaker. Davon hatte ich bislang noch nichts gehört. Es fand im selben Jahr statt, in dem Johannas Sohn geboren wurde, 1904.« Lambert nickte wissend.
»Ja, das war ein fürchterliches Blutbad. Keiner hier redet gerne
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