Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
das Gelb um ihre Augen? Das lässt sie riesengroß erscheinen, wie bei einer Puppe.«
»Ist die giftig?«
»Jetzt nicht mehr«, scherzte Takari. »Auf Menschen hat sie allerdings sowieso keinen Appetit. Steht mehr auf Frösche.« Er wog den toten Schlangenkörper in der Hand. Dann wandte er sich wieder Katja zu.
»Irgendjemand hat was gegen Sie, Ma’am. Irgendeine Ahnung, wer das sein könnte?«
»Meinen Sie etwa, jemand hat mir absichtlich eine tote Schlange über die Klinke gehängt?«
»Damit dürften Sie goldrichtig liegen, Ma’am. Von Schlangen, die sich zum Sterben über Türklinken werfen, hab ich jedenfalls noch nie gehört.« Er musste über den eigenen Witz grinsen.
Katja ließ ihn stehen und öffnete rasch die Tür. Sie ging in den Bungalow hinein und prüfte, ob etwas fehlte. Auf den ersten Blick sah es nicht danach aus. Ein zweiter Rundgang bestätigte ihren Eindruck. Wer immer sie mit der toten Schlange erschrecken wollte, hatte offenbar nicht vorgehabt, sie auszurauben. Diese Tatsache erleichterte sie allerdings keineswegs. Warum wollte irgendjemand sie einschüchtern? Sie drehte sich um und ging zu Takari, der noch immer mit der Schlange in der Hand vor ihrer Tür stand.
»Tote Schlangen. Ist das eine Art Warnung oder Drohung? Oder drücken Einheimische so ihre Gefühle für Fremde aus?« Katja klang jetzt wütend.
»Wir haben jede Menge grausamer Bräuche auf Papua. Aber tote Schlangen über Türklinken …« Er begann zu kichern, und Katja wurde ungehalten.
»Takari! Mir ist nicht zum Spaßen zumute. Jemand will mich einschüchtern. Jetzt sagen Sie mir bitte, ob das einer von Ihren Leuten war.«
»Sorry, Ma’am. Ich wollte mich bestimmt nicht über Sie lustig machen.« Katja sah ihn streng an. Takari räusperte sich. »Über ein Schlangen-Ritual ist mir wirklich nichts bekannt. Das will aber nicht unbedingt etwas heißen. Es gibt so viele Stämme auf Papua, und alle haben sie ihre eigenen Bräuche und Zeichen. Ich kann Ihnen leider nur raten, wachsam zu sein. Nur zur Sicherheit.«
Katja erinnerte sich an das Gespräch mit ihrem Vater. Vielleicht hatte er mit seinen Warnungen vor den dunklen Seiten Papua-Neuguineas gar nicht übertrieben. Im Moment würde sie tatsächlich am liebsten ihre Koffer packen und zurückfliegen. Sie hatte sich nicht auf den langen Weg hierher gemacht, um sich wie ein verängstigtes Kind zu fühlen. Katja überlegte, ob sie den Rückflug umbuchen sollte.
Deutsch-Neuguinea, Januar 1905
F ast ein halbes Jahr war seit dem Baining-Massaker vergangen, das Johanna den Mann und ihrem Sohn Martin den Vater geraubt hatte. Manchmal wunderte sie sich, dass sie noch hier war, an diesem Ort fernab der Heimat, der so grausam und gleichzeitig so wundervoll war. Hätte Phebe sich nicht ihrer angenommen, hätte sie mit Martin vielleicht schon mit dem nächsten Dampfer die Gazelle-Halbinsel verlassen. Je eher, desto besser, hatte sie zunächst gedacht. Phebe in ihrer mütterlichen Art nahm ihr allerdings jede weitere Überlegung ab, indem sie darauf bestand, Martin und Johanna auf unbestimmte Zeit bei sich aufzunehmen. So lebte Johanna jetzt mit ihrem Sohn bei den Parkinsons auf deren Plantage Kuradui.
Sie saß auf der Veranda und schaute zu, wie die Dorfmädchen, auf den Stufen sitzend, einander die Haare schnitten. Wie oft hatte sie ihnen schon angeboten, ihre Schere zu benutzen. Aber nein, die Mädchen lehnten jedes Mal ab und benutzten stattdessen eine Glasscherbe, mit der sie Krauslöckchen um Krauslöckchen absäbelten, was eine halbe Ewigkeit dauerte und ziemlich gefährlich aussah.
Johanna trank einen Schluck Tee und ließ ihren Blick über die Mädchen hinweg zum Meer wandern. Wie lange kann eine Mutter ihr Kind vor der Welt beschützen? Nicht für lange und schon gar nicht für immer, das war Johanna klar. Martin war ihr größtes Glück und zugleich ihre größte Sorge. Gehen oder bleiben – wie auch immer sie sich entschied, sein Wohl stand bei allen Überlegungen, die sie anstellte, im Vordergrund. Sie blickte auf ihren Sohn, der neben ihr auf einer Decke schlief.
Während Johanna sich in den ersten Tagen nach dem Unglück im abgedunkelten Zimmer die Augen ausweinte und abwechselnd ihr Leben und die Mörder ihres Gatten verfluchte, war Martin inmitten der anderen Kinder gut aufgehoben und bekam von Johannas Trauer und Wut nur das Unvermeidlichste mit. Dafür war Johanna Phebe sehr dankbar.
Nach zwei Tagen nahm sie zum ersten Mal wieder Nahrung zu sich. Phebe
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