Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
hatte sich neben sie aufs Bett gesetzt, während Johanna zögernd die Suppe löffelte, und bat sie darum, zu bleiben.
»Ich hab mit Bender gesprochen. Er sagt, er kann die Lücke, die Ludwigs Tod gerissen hat, nicht schließen. Euch fehlen die Leute.«
Johanna schnaubte bitter. Allein der Gedanke, Bender und Haller könnten Ludwig ersetzen, erschien ihr abwegig. Phebe nahm ihre Hand.
»Du bist doch Lehrerin. Warum unterrichtest du nicht gemeinsam mit Bender eure Missionsschüler und bildest die Begabteren unter ihnen zu Hilfslehrern aus?«
»Ich? Ludwigs Schule? Das ist doch lächerlich.«
Miti erwiderte nichts, klopfte ihr nur wohlwollend auf die Schenkel, nahm das Tablett mit dem zur Hälfte leer gegessenen Teller Kürbissuppe und wandte sich zum Gehen. Im Türrahmen drehte sie sich noch einmal um.
»Überleg es dir. Wenn du nicht unterrichten willst, bleibt immer noch die Arbeit im Waisenhaus.«
»In eurem katholischen Waisenhaus, meintest du.«
Phebe zuckte mit den Schultern.
»Ja und? Es gibt nun mal kein anderes. Welchen Unterschied macht das? Die Kinder brauchen jede Hilfe. Woher sie kommt, kümmert die Kleinen herzlich wenig. Ich bitte dich, überleg es dir!«
Sie schloss die Tür hinter sich. Johanna sank in ihre Kissen zurück. Phebes Worte hallten in ihr nach.
Was sollte sie nur tun? Sie sehnte sich nach dem Schoß ihrer Familie in Deutschland, doch den Eltern fiele sie mit Martin womöglich zur Last. Wie sie deren letzten Briefen entnommen hatte, sah es mit Verdienstmöglichkeiten in der Heimat nicht eben rosig aus.
Außerdem, wenn sie jetzt zurückging, kehrte sie als Gescheiterte zurück. Als eine, die im Leben nichts erreicht hatte und ein willfähriges Opfer der Umstände geworden war. Trotz ihres Kummers widerstrebte Johanna diese Sicht auf sich selbst. Sie war kein schwächliches Frauenbild, sie war kein Opfer. Sie war in Trauer, mitunter verzweifelt, das ja, aber dennoch war sie eine patente Person, die ihr Leben in die Hand nehmen konnte und wollte.
Johanna befand, sie musste zu ihrem praktischen Denken zurückfinden. Der HERR hatte sie nach Deutsch-Neuguinea geführt, und dafür würde er seine Gründe gehabt haben. Auch wenn Ludwig nicht länger an ihrer Seite war, konnte sie jetzt nicht einfach die Segel streichen, nur weil sich die Dinge nicht so entwickelt hatten wie erhofft. Der HERR hatte sie an diesen Ort geleitet, damit sie half, sein Wort zu verbreiten. Sie durfte das Feld nicht kampflos den zahlenmäßig überlegeneren Katholiken überlassen. Der HERR prüfte sie; und sie musste vor seinem Urteil bestehen. Nein, so sah Johanna auf einmal ganz klar, sie durfte diejenigen, die an sie glaubten, nicht enttäuschen. Phebe hatte vollkommen recht. Sie, Johanna, konnte mehr, als sie sich im Moment zutraute. Vor allen anderen musste sie ihrem Sohn Martin ein Vorbild sein und ihm durch ihr Handeln zeigen, dass sie für die Ziele seines Vaters einstand. Ludwig durfte nicht vergebens gestorben sein. Und wie sollte sie ihrem Sohn das geistige Erbe des Vaters glaubwürdig vermitteln, wenn sie vor ihren Problemen nach Deutschland floh?
Martin und sie würden bleiben.
Auszüge aus dem Tagebuch von Johanna Schubach,
Eintrag vom 5. Juli 1904, Kopie,
Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 015
Phebe und Ludwig haben mich gedrängt, Emmas Feier zum amerikanischen Nationalfeiertag beizuwohnen. Der vierte Juli ist ein großer Feiertag für Emma und Phebe, deren Vater Amerikaner ist. Um der guten Phebe und meinem lieben Gatten einen Gefallen zu tun, willigte ich schließlich ein. Ob das ein Fehler war? Seither bin ich unruhig, innerlich aufgewühlt. Bilde ich mir alles nur ein? Sicherlich, und ich fühle mich schlecht, dass ich überhaupt einen Verdacht hege. Ludwig darauf anzusprechen, wage ich nicht. Ach, wäre ich doch besser zu Hause geblieben!
Emma genoss es natürlich sehr, wie wir Deutschen ihr uneingeschränkt huldigten. Dafür bekamen die Gäste im Gegenzug französischen Champagner, Kaviar und Zigarren aus Kuba. Emma trinkt angeblich täglich zwei Flaschen Champagner und raucht eine Unmenge dieser selbstgedrehten Zigaretten, die hier so beliebt sind.
Ich habe mich als Gast nicht sonderlich wohl gefühlt. Pompöse Partys liegen mir nicht. Das Übermaß an Speisen und Alkohol widerstrebt mir genauso wie das spitze Gelächter oder die Freizügigkeit der jungen samoanischen Nichten, die Emma aus Apia hierhergebracht hat. Deren Verhalten ist zutiefst unanständig, und ich kann diese Art
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