Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
versuchen. Vom Anwesen hatte der Krieg nicht mehr als die steinerne Treppe übrig gelassen. Auch die anderen Regierungsgebäude, allesamt ebenfalls aus Holz erbaut, waren von den japanischen Bombern zerstört worden. An deren Stelle standen längst neue Häuser.
Blieb noch die Stadtbibliothek, doch auch dort konnte Katja nach einem halben Tag Recherche nicht einmal ein einziges Skizzenblatt finden, das von Johanna stammte.
Am Abend überlegte Katja frustriert, ob sie eine Möglichkeit übersehen hatte. Es war doch schlicht unmöglich, dass sämtliche Bilder von Johanna wie vom Erdboden verschluckt waren! Sicher, das feuchte Klima war Leinwänden und Papier nicht gerade zuträglich, aber dennoch … Johanna hatte viele Jahre ihres Lebens hier verbracht und war an diesem Ort gestorben. Wo sonst könnten ihre Bilder also stecken? Auf Tasmanien? Doch wenn Martin die Bilder seiner Mutter an sich genommen hätte, dann wären sie wohl seinerzeit dieser Brandstiftung in Strahan zum Opfer gefallen.
Um sicherzugehen, rief sie Rosie an. Rosie freute sich über Katjas Anruf und hörte sich in Ruhe an, um was es ging. Sie ließ sich Zeit mit einer Antwort, überlegte lange, ob sie sich auch an alles richtig erinnerte. Rosie wusste vom Hobby ihrer Großmutter und hatte einige ihrer Werke auf der Farm in Mt. Isa gesehen, aber in Strahan selbst hätten sie nur zwei Landschaftsskizzen von Kokopo und Kuradui besessen, und die seien tatsächlich 1952 in den Flammen verbrannt. Falls Johannas Bilder die Zeit überdauert hätten, dann müssten sie wohl in Kokopo zu finden sein, stimmte Rosie ihr zu.
Katja war frustriert. Sie wusste nicht, wo sie noch nachsehen konnte. Wahrscheinlich hatte sie sich ohnehin nur so lange an dieser Suche festgebissen, um Ablenkung zu haben. Selbst wenn sie fündig geworden wäre, hieße das ja noch lange nicht, auch auf etwas Interessantes zu stoßen. Wie im Tagebuch beschrieben, hatte Johanna wahrscheinlich nur die Landschaft und alltägliche Szenen festgehalten.
Katja hatte sich mit diesem Ergebnis schon fast abgefunden, als Takari ihr vorschlug, noch einmal die alte Maile aufzusuchen. Er erinnerte sich daran, dass deren Urgroßvater auf der Mission angestellt gewesen war. Es war möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass Johanna ihn gekannt hatte.
»Eine gruselige Geschichte«, sagte Takari und schüttelte sich, »noch viel gruseliger als die Alte selbst.« Auf Katjas Nachfrage hin erzählte Takari, dass Maile die letzte Nachfahrin eines Tolai namens Gumbo sei, der es am Ende seines Lebens zu trauriger Berühmtheit gebracht hatte. Er war der erste Getaufte seines Stammes gewesen, wurde später Hilfsprediger der Lutheraner. Gumbo hatte sich offenbar viele Jahre lang zwischen den Kulturen bewegt, was manche unter den Tolai ihm gründlich verübelten, zumal er im fortgeschrittenen Alter begonnen hatte, dem Glauben der Weißen ernsthaft nachzueifern, und sein Dorf mit nicht geringem Erfolg immer wieder beschwor, es ihm gleichzutun. Unmut und Misstrauen ihm gegenüber wuchsen, besonders unter den Älteren, und als man Gumbo eines Tages mit dem Gesicht nach unten in der von Blut rot gefärbten Blanchebucht treiben sah, sprachen die Einheimischen erleichtert von befriedigten Rachegeistern. Die weißen Christen jedoch waren entsetzt. Die grausame Tatsache, dass man dem alten Mann Hände und Füße abgetrennt hatte und seine Brust von sieben tiefen, langen Schnitten zerfetzt war, ließ Gerüchte aufkommen. Manche hielten die schreckliche Verstümmelung für eine Anspielung auf die vier apokalyptischen Reiter und das Buch mit den sieben Siegeln. Die Täter dieses feigen Mordes wurden nie gefasst, weshalb Gumbos Familie sich auf das einheimische Gesetz der Vergeltung berief und in den darauffolgenden Jahren viel Blut vergossen wurde. Irgendwann war von Gumbos Familie nur noch Maile übrig, die selbst keine Kinder hatte. Sie wurde als weise Frau akzeptiert, was sehr ungewöhnlich für die patriarchale Gesellschaft der Papua war. Dieser Status war nicht zuletzt ihrem unbeugsamen Mut geschuldet. Maile mochte oder verstand die Weißen nicht mehr und nicht weniger als alle anderen Tolai, doch das Andenken an Gumbo verbat es ihr, zuzulassen, dass Fremde bedroht wurden, nur weil sie den falschen Göttern huldigten. Diese Überzeugung war auch der Grund, weshalb die Alte Katja während des Überfalls am Strand verteidigt hatte.
Katjas Neugierde war geweckt, sie sah die Alte plötzlich in einem neuen,
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