Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
auf den Tisch. Dann tippte sie mit dem Zeigefinger auf den Einband. »Glücklicherweise hat das Tagebuch von Johanna das Feuer überlebt. Es muss meinem Vater einiges bedeutet haben, sonst hätte er es bestimmt nicht so sicher versteckt. Er hatte es in der Scheune vergraben. Ich habe es nur durch Zufall gefunden, als wir vor ungefähr zehn Jahren angebaut haben.«
Katjas Brauen stiegen in die Höhe. Ein Tagebuch?
»Und er hatte Ihnen nie davon erzählt?«
Rosie schüttelte traurig den Kopf. »Leider nein. Aber ich glaube, er hätte es irgendwann getan, wenn er noch gekonnt hätte. Er ist im Alter dement geworden.«
»Das tut mir leid.«
Rosie machte eine wegwerfende Bewegung und schob das Buch über den Tisch. »Lesen Sie ruhig, wenn Sie wollen. Sie müssen das allerdings hier tun. Ich lasse nicht zu, dass das Tagebuch dieses Haus verlässt.«
Katja nickte stumm. Das war eine großzügige Geste. Wenn sie nur nicht so verdammt müde gewesen wäre! Außerdem musste sie sich noch eine Bleibe für die Nacht suchen. Anscheinend konnte Rosie ihre Gedanken lesen. Sie stand auf und zog Katja sachte am Arm zu sich hoch.
»Kommen Sie. Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer. Nehmen Sie eine schöne heiße Dusche, und legen Sie sich dann mit Johannas Tagebuch ins Bett. Ich stelle Ihnen inzwischen was zu essen hin, und wir sehen uns dann morgen beim Frühstück pünktlich um sieben.« Katja wollte gerade widersprechen, da kniff ihr Rosie in den Oberarm und sah sie streng an.
»Und keine Widerrede. Klar?«
»Klar«, gab Katja klein bei und hätte vor Dankbarkeit heulen mögen.
Auszug aus dem Tagebuch von Johanna Kiehl
vom 12. Juni 1903,
Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 016
(…) bin sehr froh darüber, dass ich in den letzten Wochen mehr Zeit zum Malen gefunden habe. Diese Beschäftigung ist eine Oase in meinem arbeitsreichen Alltag, und ich mache große Fortschritte. Besondere Freude habe ich daran, Menschen zu malen. Den Tolai gefällt es in der Regel, mir Modell zu sitzen, und ich muss sie nicht erst lange bitten. Letzte Woche durfte ich Old Manus porträtieren, den Bikman von Raluana. Er ist steinalt und eine imposante Erscheinung, was vor allem an der besonderen Art liegt, wie er sein Haar trägt. Sein Pony ist rotgefärbt, das restliche Haar ist zu einem Dutt aufgerollt, der mit Federn am Hinterkopf festgesteckt und mit Hibiskusblüten, Hundezähnen und einem farbigen Holzkamm geschmückt ist. Während ich die Vorzeichnung anlegte, bewegte er sich keinen Millimeter und war zweifellos bemüht, überaus ernst und würdevoll dreinzuschauen. (…)
Ich male ausschließlich in der freien Natur. Dabei erlebe ich manchmal die merkwürdigsten Dinge.
Gestern saß ich in der kleinen Bucht im Schatten eines großen Seemandelbaums ( Terminalia catappa ist sein lateinischer Name, so hat mir Herr Parkinson erklärt. Ich will es nicht vergessen!). Die Aussicht vor mir reichte über das schimmernde Riff hinaus, gerahmt von dem dunklen Stamm und der überhängenden Baumkrone eines anderen Baums, unter dessen Blätterdach das Licht eine hübsche purpurfarbene Linie in den Sand zeichnete.
Ich war schon immer fasziniert von diesen ausladenden, großblättrigen Schattenriesen, die für unsere tropische Küste so typisch sind. Barringtonia asiatica heißen sie und haben faustgroße, laternenförmige Früchte. Die Einheimischen zermahlen sie, um ein Fischbetäubungsmittel daraus zu gewinnen. Aus den Blüten wächst eine Bürste aus langen rosafarbenen Staubfäden, die, wenn sie zu Boden fallen, einen wunderschönen Teppich bilden. Ich mischte auf meiner Palette gerade Zinnober mit Purpur für die Rottöne im Bild und überlegte, wie viel Weiß ich später für die Blüten dazugeben werde, da sah ich aus dem Augenwinkel, wie sich auf der anderen Seite des Flussufers etwas bewegte.
Erschrocken sprang ich auf und fragte eine Tolai, die unter dem Nachbarbaum mit ihren Kindern Schatten gesucht hatte und mir beim Malen zusah, ob es hier Krokodile gäbe und ob ich mir Sorgen machen müsste. Die Frau schüttelte den Kopf.
Ich war verwirrt, konnte ich das Vieh doch mit eigenen Augen sehen. Gott sei Dank war es eine gute Strecke von uns entfernt. Trotzdem raffte ich panisch vor Angst meine Malsachen zusammen. Hektisch zeigte ich auf das Krokodil. »Du lügst!«, rief ich erbost auf Tok Pisin. Da stand sie auf und stemmte wütend die Fäuste in die Hüften. »Mi no giaman! Puk puk i stap long wara. Em i save kaikai mipela, tasol. I no save kaikai
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