Die verbotene Pforte
Hände des alten Wirts zitterten, als er den Schlüssel im Schloss drehte und die Tür öffnete. Sonnenschein verwandelte ihn in eine Lichtgestalt mit spiegelnder Halbglatze, dann trat Wanja in den Wirtshausflur – dunkelbraun gebrannt und breit lächelnd, mit Haaren, die ihr bis zu den Hüften reichten, und einem ganzen Haufen Muschelketten um den Hals.
»Oh, Tobbs!«, rief sie gut gelaunt. »Schon da? Bin ich so lange weggewesen?«
Sie lächelte, als würde sie sich an eine wirklich tolle Zeit erinnern.
»Wo kommst du her?«, wollte Dopoulos wissen. »Du hast doch nicht etwa … gefeiert? Während wir hier vor Sorge fast umkommen?«
Wanja grinste entschuldigend. »Maui hat mich vor den Kraken gerettet, es war verdammt knapp. Da konnte ich wohl schlecht Nein sagen, als er mich zu der jährlichen Rochen-Partynacht auf Mautschi-Mantu einlud. Und danach musste ich über die verfluchten Inseln zum Festland reisen, um zu unserer Wirtshaustür im Süden der Tajumeer-Halbinsel zu kommen. Das hat in Tavernenzeit auch noch einmal drei Stunden gedauert.«
»Du hättest eine neue Tür bauen können!«, knurrte Dopoulos.
Wanja hob bedauernd die Schultern. »Hätte ich, wenn die Kraken als Entschädigung für ihren toten Artgenossen nicht mein ganzes Werkzeug vernichtet hätten – und drei Inseln noch dazu. Ich kann von Glück sagen, dass Maui so ein guter Diplomat ist, sonst wäre ich jetzt Krakenfutter. Tobbs, ist alles in Ordnung? Wie geht es Anguana?«
Tobbs antwortete nicht, sondern machte auf dem Absatz kehrt und rannte den Flur entlang zur Hintertür. Den Schatz an sich gepresst überquerte er den Hof und schritt entschlossen zu Rubins Stall.
Das Pferd hob erwartungsvoll den Kopf und fletschte die Zähne in seine Richtung, doch heute kümmerte sich Tobbs nicht darum und ließ das verdutzte Tier einfach stehen. Rasch kletterte er die Leiter zu seinem Bett hinauf. Alles lag noch genauso da, wie er es vor einer halben Ewigkeit zurückgelassen hatte. Wie viele Tage mochten in der Zeitrechnung der Taverne vergangen sein? Drei? Zehn? Vierzig?
Tobbs klopfte an die Lampe, die von der Decke hing, und eine kleine Flamme sprang hervor, die das Strohlager mit Licht flutete. Erschöpft ließ er sich ins Stroh fallen. Er atmete tief durch und begann die Bänder, die das Päckchen zusammenhielten, zu lösen. Sie waren äußerst fest verknotet, also nahm er die Zähne zu Hilfe, was ihm erstaunlich leichtfiel. Er ließ sich nicht einmal davon ablenken, dass die Leiter nach einer Weile bedenklich knarzte und Dopoulos umständlich auf die Plattform stieg.
Behutsam biss er auch die letzte salzige Schnur durch und wickelte das Bündel mit klopfendem Herzen auseinander. Die oberste Schicht war ein schlichtes Tuch. Und darin eingewickelt war ein Fell. Ein dunkles Fell mit langem Haar und einem buschigen Schwanz. Tobbs fuhr mit der Hand über den salzverkrusteten Pelz, der immer noch nach Tajumeer roch. Tränen stiegen ihm in die Augen. Seine Hände prickelten bei der Berührung. Das Fell schien zu leben und sich unter seinen Fingern zu sträuben! Es war, als hätte Tobbs sich lange Zeit unendlich nach etwas gesehnt und hätte es nun endlich wiedergefunden.
»Das ist alles, was deine Eltern für dich zurückgelassen haben«, sagte Dopoulos leise.
»Ein Fuchsfell.« Tobbs hob den Blick und wischte sich die Tränen von der Wange. »Ich komme aus Doman, stimmt’s? Meine Mutter ist … eine Art Geist. Von ihr habe ich das Dunkle in mir. Und die verbotene Tür führt dorthin. Meine Eltern kamen durch diese Tür in die Taverne.«
Dopoulos seufzte. »Die Tür gibt es nicht mehr, aus gutem Grund, wie du nun gesehen hast. Die Wesen aus Doman sind … Bestien. Und ich habe es mir vor langer Zeit zur Aufgabe gemacht, dich zu schützen.«
Bestien? Tobbs dachte an Haruto und lächelte grimmig.
»Die eine Tür nach Doman zu verschließen genügt jetzt nicht mehr«, fuhr Dopoulos fort. »Sie haben deine Witterung aufgenommen und suchen nun auch in anderen Ländern nach dir. Deshalb haben wir die Tür nach Rusanien zugemauert. Baba Jaga wird in einigen Wochen über Land zurückreisen, um ihre Spuren zu verwischen. Und auch die Tür zu Tajumeer werden wir schließen.« Er musterte Tobbs und lächelte traurig. »Pass gut auf das Fell auf, mein Junge. Es ist ein wichtiger Teil von dir.«
»Aber warum wollen die Domaner diesen Teil von mir haben?«
»Während du weg warst, habe ich entdeckt, dass du die Mauer vor der verbotenen Tür
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