Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
für diese wertvollen Karten? Wo sind diese Landkarten jetzt?
Wie sehen Ihre Pläne bezüglich Ihrer bevorstehenden Reise aus?
Das Protokoll über die Begegnung mit Jens, das in seine Akte kam, verfasste der Stasi-Offizier später äußerst penibel:
Am Freitag, dem 8. Mai 1987, wurde in der Zeit von 17.10 Uhr bis 18.45 Uhr in der Volkspolizei-Inspektion Prenzlauer Berg, Zimmer 121, durch die Genossen Oberleutnant Jurascheck und Leutnant Küpper der Bürger einer Befragung unterzogen . Die beiden Genossen des Ministeriums für Staatssicherheit gaben sich als Angehörige der Deutschen Volkspolizei aus.
JENS WUSSTE, dass von diesem Gespräch vielleicht alles abhing. Er hatte den Studienplatz verloren und durfte keine Vorträge bei der Urania mehr halten. Jetzt verwehrte man ihm womöglich auch noch für immer Reisen Richtung Osten.
Er versuchte, freundlich und auskunftswillig zu sein. Er erklärte den beiden Mitarbeitern der Stasi geduldig alles, was sie wissen wollten. Er bemühte sich, Widersprüche aufzulösen. Er interessiere sich seit seiner Kindheit für Vögel, Naturschutz, Biologie und die Begegnung mit anderen Menschen und Kulturen, notierte der protokollierende Stasi-Mann.
Der Bürger äußerte in diesem Zusammenhang die Meinung, dass solche Begegnungen auf unterer Ebene ebenso zum Frieden beitragen würden wie Politikertreffen.
Jens erzählte den beiden Herren von seiner vorübergehenden Festnahme bei einer Reise durch die Sowjetunion, als er am Kaspischen Meer versehentlich in ein Sperrgebiet nahe der Stadt Krasnowodsk geraten war. Am Ende hatte alles in einer geselligen Essenseinladung mit dem leitenden Offizier des KGB am Ort geendet. Der habe Verständnis für Leute wie ihn gehabt und viel über Berlin wissen wollen, denn er hatte noch nie mit jemandem aus Berlin gesprochen. Er habe gefragt, wie es denn dort sei, dort solle ja eine Mauer mitten durch die Stadt gehen. Er habe davon erzählt. Am nächsten Tag habe der Offizier Jens dann bei seiner Reise weitergeholfen und ihn sogar zum Bahnhof gebracht.
Der Vorhalt, dass die Westberliner Bekannte mit zwei topografischen Karten mit Grenzgebietsausschnitten beim Zoll der DDR aufgefallen war, beeindruckte den Bürger zunächst. Daraufhin angesprochen erklärte er, dass er nicht im Besitz dieser Karten sei.
Dass Länderkarten Grenzgebiete enthielten, so versuchte Jens ihnen zu erklären, sei üblich.
Zum Schluss fragten die falschen Volkspolizisten noch, für wen Jens arbeite und wovon er in Zukunft leben wolle. Jens erwiderte, er wolle Fotografien verkaufen und als freiberuflicher Referent arbeiten und in Vorträgen über seine Reisen erzählen, wie es in den fremden Ländern zugehe, und über Kultur, Natur, Sitten und Gebräuche berichten. Dazu brauche er keinen akademischen Grad oder Titel. Das Geld reiche zum Leben und sogar für seine Reisen. Er bekomme obendrein von seinen Zuhörern ausreichend Achtung und Anerkennung. Daher interessierten ihn Länder wie die Mongolei, China oder Vietnam, die bekanntlich alle kommunistische Bruderländer seien.
Jens habe sich in dem Gespräch in einer gewissen Abwehrstellung befunden , stand später im geheimen Protokoll.
Zu Einzelheiten seiner Reise oder zu anderen Personen machte er keine Angaben. Ausdrücklich erklärte er, dass er über seine Bekanntschaften aus dem Westen und die Mitglieder seiner Umweltgruppe nicht sprechen wolle. Er ist redegewandt und versuchte, bei allen Vorhalten und Fragen, ausgehend von seinen individualistischen Anschauungen, die Sachverhalte global und unkonkret zu behandeln. Befand er sich in der Defensive und musste er sich zu verschiedenen Fragen rechtfertigen, versuchte er, durch Gegenfragen das Thema zu wechseln.
Aufgewühlt verließ Jens die Volkspolizei-Inspektion. Die Befragung war überstanden, versetzte Jens jedoch in Alarmstimmung. Später saß er allein in der Wohnung in der Rykestraße und dachte über das Geschehene nach.
War jetzt die große Reise mit Marie in Gefahr? Andererseits hatten ihm die beiden Männer kein sofortiges Reiseverbot erteilt. Zum Schluss hatten sie ihn lediglich ermahnt, sich bei seinen zukünftigen Reisen stets an die Gesetze des Gastlandes zu halten. Aber was, wenn sie ihm seinen Personalausweis wegnehmen und durch einen vorläufigen PM -12-Ausweis ersetzen würden, wie es auch anderen politisch Missliebigen ergangen war? Damit verbunden war eine Aufenthaltsbeschränkung auf das Gebiet der DDR oder gar nur Berlins, ein Leben auf
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