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Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wensierski
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auch die des Wünschens, hat magische Kräfte.
    Marie nickte.
    Allerdings wird es unterwegs Probleme genug geben.
    Sie werden uns immer und überall nach »Dokumenty« fragen. Dann dürfen wir auf keinen Fall gleich unsere Pässe hergeben.
    Jens hatte diese Erfahrung schon bei früheren Reisen durch Russland gemacht. Da hatte er zwar keinen Pass gehabt, und sein Personalausweis war das einzige wirklich wertvolle Dokument gewesen. Bei Kontrollen, das hatte er gehört, behielten die Uniformierten die Papiere schon mal ein. Und das konnte das Ende der Reise bedeuten. Daher war es klug, andere, ausweisähnliche Dokumente dabeizuhaben, die man bei plötzlichen Überprüfungen, in die man bei aller Vorsicht doch geriet, anstelle des Ausweises abgeben konnte.
    Jens musste lachen, als er Marie davon erzählte.
    Wurde ich mit Reinhard angehalten, war immer die Frage: Was zeigen wir jetzt? Den Pionierausweis? Den Angelausweis? Den Ausweis der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft?
    Besonders geeignet schien ihm der Sozialversicherungsausweis zu sein. Er hatte die Größe eines Reisepasses, einen grünen Umschlag, viele Seiten, die jeweils ein Wasserzeichen zierte, das den Ährenkranz mit Hammer und Zirkel zeigte. Für jede Blutspende gab es einen dicken roten Stempel. Jens hatte schon oft Blut gespendet. Sein Ausweis, fand Marie, sah beeindruckend aus.
    Wir müssen erfinderisch sein. Es geht darum, ob unser Traum schon nach ein paar Tagen zu Ende ist oder ob wir weiter und durch die gesamte Mongolei kommen.
    Die beiden blieben noch eine Weile auf dem Dach sitzen und redeten darüber, was noch zu tun war vor der Reise, zu der sie lieber heute als morgen aufbrechen wollten.
    Noch am selben Abend begannen sie mit der Arbeit.
    Jens klebte ein Passbild in seinen Sozialversicherungsausweis, und weil das Dokument ihm noch nicht offiziell genug aussah, hatte er plötzlich noch eine Idee. Weißt du was, unsere riesige Fünf-Mark-Münze hat doch eine tolle Prägung mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz.
    Am Rand seines Passbildes prangte bald das Symbol der Arbeiter- und Bauernmacht, das sicher jeden Kontrolleur in der zum sowjetischen Einflussbereich gehörenden Mongolei beeindrucken würde.
    Marie sah ihn fragend an.
    Jetzt kannst du ihn doch gar nicht mehr weiterbenutzen, wenn du zurückkommst?
    Jens antwortete ihr etwas zögernd.
    Dann sag’ ich einfach, ich hab’ ihn verloren.
    Marie fasste ihn am Arm.
    Oder willst du gar nicht wiederkommen?
    Jens drehte sich ihr zu.
    Es geht doch jedem durch den Kopf, irgendwann wegzugehen. Ich wollte es nie. Aber jetzt …
    Marie ließ ihn los.
    Ich weiß nicht.
    DIE BEIDEN suchten all ihre Ausweise zusammen. Das Dokument vom Verband Bildender Künstler der Deutschen Demokratischen Republik war ebenfalls mit Passbild, Stempel und einer harten, grauen Ausweishülle versehen.
    Die Studentenausweise eigneten sich genauso wie die Bibliotheksausweise und das Mitgliedsbuch der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft mit der bunten Flagge auf der Aufnahmemarke. Als Jens das Jugendfoto von Marie auf der »Sichtkarte für Bus und Straßenbahn« sah, auf dem sie ein so braves Gesicht machte, grinste er. Sie sah das aus den Augenwinkeln und boxte ihn gegen die Schulter.
    Am nächsten Tag gingen Marie und Jens ins Reisebüro am Alexanderplatz und kauften sich nach Vorlage des Visums Bahnfahrkarten nach Moskau sowie ein Flugticket von dort nach Irkutsk. Von Irkutsk wollten sie mit der Transsibirischen Eisenbahn weiter bis in die Mongolei fahren.
    Marie und Jens fehlten noch feste Schuhe. Bergsteigerschuhe waren nur selten zu finden. Jens hatte deswegen schon fast ein Jahr lang jede Woche in einem Sportgeschäft am Frankfurter Tor nachgefragt. Nie gab es welche. Er hatte die Verkäuferinnen aber so weit überzeugt, ihm zwei Paar zurückzulegen, falls eine Lieferung eintreffe. Nun waren wohl gerade welche angekommen. Sie gingen zusammen dorthin und hatten Glück. Die Schuhe waren da und passten. Marie behielt ihre gleich an. Um sie einzulaufen, ging sie damit in den letzten Tagen des Semesters zu Fuß von der Wohnung in Prenzlauer Berg zur Kunsthochschule Weißensee und wieder zurück. Marie hatte es gerade noch geschafft, ihre Arbeit für die Ausstellung zum Tag der offenen Tür vor Semesterende abzugeben. Ihr Vater hatte tatsächlich mit großer Energie geholfen, ein Holzmodell des Bühnenbilds für die Verkaufte Braut zu bauen. Er hatte Miniaturmarktstände aus kleinen Tischen gebastelt, auf denen gut

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