Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Sparflamme.
Jens wollte Marie nicht beunruhigen, sie so wenig wie möglich in seinen Konflikt mit dem Staat hineinziehen. Er würde es ihr später erzählen. Jetzt stand erst einmal anderes an. In zwei Tagen würde er in der Reisestelle der Sporthochschule das beantragte Visum für die Mongolei abholen können. So hatte es die Mitarbeiterin dort in Aussicht gestellt. Dann würde er ja sehen, ob sich durch die Herren, die ihm so viele Vorhalte gemacht hatten, etwas zu seinem Nachteil verändert hatte. Er hoffte allerdings, dass die Polizisten nicht wirklich so schnell und vernetzt arbeiteten.
ZWEI TAGE SPÄTER fuhr Jens vom Prenzlauer Berg zur Passstelle nach Weißensee. Er klopfte an die Tür und trat ein. Er musste nicht warten, hier kam wohl nur selten jemand vorbei. Diesmal saß eine andere Frau als bei seinem letzten Besuch im Zimmer. Nachdem er sein Anliegen vorgetragen hatte, ging sie an einen stählernen Aktenschrank und wollte ihn aufschließen, hatte aber nicht den passenden Schlüssel. Sie suchte in den Schubladen des Schreibtisches ihrer abwesenden Kollegin.
Es dauerte eine Weile, bis sie endlich die Türen des Schrankes geöffnet hatte. Jens wartete gespannt. Dann passierte etwas Überraschendes. Die Mitarbeiterin drückte ihm zwei Reisepässe der DDR mit eingestempeltem Visum für die Mongolei in die Hand. Dazu ein Dienstvisum für die Sowjetunion.
Das brauchen Sie für die Durchreise!
Jens glaubte zu träumen, aber er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Er hatte bestenfalls mit einem Visum für die Mongolei gerechnet. Das wäre ein Zettel als Anlage zum Personalausweis gewesen, der als Reisedokument diente. Aber nun hielt er zwei Pässe in der Hand. Richtige Pässe. Einer wie er bekam normalerweise keinen Reisepass. Rentner bekamen ihn, die auch in den Westen reisen durften, aber sonst war der Pass ein außerordentliches Privileg für nur wenige aus Sicht des Staates zuverlässige Künstler, Wissenschaftler und Sportler. Nachdem er mit seiner Unterschrift den ordnungsgemäßen Empfang der Pässe im Ausgabebuch quittiert hatte, beeilte er sich, wieder aus dem Gebäude herauszukommen. Als er in der Rykestraße die Wohnungstür aufschloss, war die Wohnung leer. Ein Zettel lag auf dem Fußboden.
Bin bei den kleinen Raubvögeln!
Jens stürmte die Treppenstufen hinauf zum Dachboden.
Marie saß auf dem Dach. Sie hatte die Augen geschlossen und hielt ihr Gesicht in die Sonne. Neben ihr lagen ein paar Zeichnungen, die Dachlandschaften zeigten.
Kapitel 9 Der Aufbruch
Marie schlug ihre Augen auf und blinzelte in die Sonne. Jens hielt ihr die beiden Pässe entgegen.
Da steht drin: Gültig für alle Länder, einschließlich Berlin (West).
Er ließ sich neben Marie aufs warme Dach fallen und drückte ihr die Reisedokumente in die Hand.
Damit eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für uns!
Marie sah ihn überrascht an.
Aber mit dem Pass alleine kommt man ohne Visum doch nirgendwohin?
Er blätterte und zeigte ihr den Visumstempel für die Mongolei.
Aber eins ist schon mal drin! Zielland: Монгольская Народная, Mongolskaja Narodnaja Respublika. Transit: Polen – Sowjetunion – Gültig für sechs Monate. Ab sofort.
Marie umarmte Jens, sah sich ihren Pass immer wieder an, ungläubig in den leeren Seiten blätternd, auf denen so viel Platz war für weitere Einreisestempel. Sie freute sich auf das Abenteuer Mongolei, aber Jens hatte angesichts der Pässe gleich noch eine Idee:
Wenn wir es zusammen bis in die Mongolei schaffen, könnten wir in Ulan Bator versuchen, in der chinesischen Botschaft auch noch ein Visum für China zu bekommen, dann könnten wir auch dort noch überall herumreisen, bis nach Peking, das ist eine einmalige Gelegenheit. Vielleicht schaffen wir es dann doch noch zur Chinesischen Mauer?
Daran hatte Marie bisher noch gar nicht gedacht. Sie hatte auch noch nie von jemandem gehört, dem das gelungen war. Aber sie musste nicht lange überlegen.
Da bin ich dabei!
Jens sprach weiter. Natürlich sei China für sie verboten. Ein Visum für China zu bekommen sei in Ost-Berlin selbst mit diesen Reisepässen unmöglich, denn sicher würden die chinesischen Beamten vorher bei den deutschen Behörden nachfragen. Dann würde auffliegen, dass ihnen eigentlich kein Reisepass zustand. Aber Ulan Bator sei weit genug weg, dort könne man es probieren, von dort rufe bestimmt keiner in Ost-Berlin an.
Was steht in deinem alten Buch über die Mongolei? Unsere Beharrlichkeit,
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