Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wensierski
Vom Netzwerk:
damit oder ließen sie als Fahrzeuge Spuren im Sand machen.
    Marie hörte hinter sich ein kratzendes, metallisches Geräusch. Ein älterer Mann wetzte zwei Messer. Für den Ziegenbock war es also die letzte Fahrt, dachte sie.
    Sie hatte noch nie erlebt, wie ein Tier geschlachtet wurde, kannte aber die Bilder aus Schlachthöfen, auf denen sie den Stress und die Angst der Tiere gesehen hatte. Jetzt war sie erstaunt, wie selbstverständlich und leicht hier, mitten in der Wüste, dem Leben der ahnungslosen Ziege ein Ende gesetzt wurde.
    Einer der Männer umarmte die Ziege fest mit einem Arm und sprach mit ihr. In der anderen Hand hielt er das geschärfte Messer und glitt damit zu ihrem Bauch herunter.
    Marie wunderte sich darüber, wie ruhig das Tier blieb.
    Der Mann machte am Bauch einen Schnitt in die Haut. Er griff in das Tier hinein und schloss seine Hand für einen Moment fest um das Herz. Es hörte auf zu schlagen. Die Ziege war sofort ohne Bewusstsein. Dann zertrennte er mit den Fingern die Hauptschlagader.
    Er ritzte kleine Linien mit dem Messer in die Haut und zog das Fell mit bloßen Händen ab. Aus dem Bauch entnahmen zwei Frauen die Innereien, legten sie auf das Fell und warfen einen Teil davon in einen großen Topf mit Wasser, das inzwischen auf dem Ofen zum Sieden gebracht worden war. Die Frau des Fahrers begann, in einer Schüssel die Därme der Ziege auszuwaschen, ihre Tochter schöpfte das Blut, das in den Bauchraum gelaufen war, in eine Schale. Sie achtete darauf, dass kein Tropfen davon auf die Erde fiel.
    In einem offenen Feuer, das die Männer entfacht hatten, wurden kleine und größere Steine erhitzt. Stücke des klein geschnittenen Fleischs, das Herz, die Nieren und die Lunge wurden Schicht für Schicht abwechselnd mit den heißen Steinen in eine leere Milchkanne gelegt, dann wurde etwas Wasser dazugegeben und die Kanne verschlossen, damit das Fleisch im eigenen Saft garen konnte.
    Alles ging ganz ruhig vor sich. Marie war zu ihrem eigenen Erstaunen nicht entsetzt über das Schlachten des Tieres. So konnte sie es akzeptieren. Sie war fasziniert davon, dass nichts außer dem Inhalt von Magen und Darm weggeworfen wurde. Die ganze Ziege fand Verwendung. Wie sie später beim Essen im Scheinwerferlicht des Wagens feststellen musste, sogar die Augen.
    Jens, dem ein Auge angeboten wurde, machte mit einer Geste deutlich, dass er doch noch genug an seinem Ziegenknochen in der Hand zu nagen habe, und Marie nahm lieber vom angebotenen mongolischen Brot und von der süß gewürzten Brühe mit gekochter Leber. In ihrem Teller landete dann doch ein Ziegenauge. Sie lächelte tapfer die wohlmeinende Köchin an und raunte Jens zu:
    Ich kann das nicht essen.
    Er lächelte zurück und antwortete:
    Wenn du es im Mund hast, dann hol dir doch schnell eine Jacke aus dem Rucksack.
    Zum Glück half die Dunkelheit, das Problem zu lösen.
    DIE IMMER noch warmen, glatten Steine aus der Milchkanne, zwischen denen das Fleisch gegart worden war, dienten nun reihum als Handwärmer in der kühlen Nacht.
    Marie und Jens saßen dicht nebeneinander, mitten in der Wüste, zwischen den Menschen, die sie so zufällig getroffen hatten. Über ihnen leuchteten, brillanter als sie es je zuvor gesehen hatten, die Sterne. Ein orangefarbener Mond war über der Gobi aufgegangen, eine Landschaft, die den beiden endlos vorkam.
    Jens dachte an die Worte von Galsan, dass es hinter dem Rand der Erde stets einen neuen Horizont gibt, den man erreichen kann.
    Die Reise ging noch vor Mitternacht weiter. Auf der Plane hatten sie nun, nachdem die Ziege verspeist worden war, etwas mehr Platz, sie versuchten sich mit dem harten Stoff so gut es ging vor der Kälte zu schützen, und das Schaukeln und Motorbrummen ließ sie bald einschlafen.
    Gegen drei Uhr morgens klopfte der Fahrer auf die Seitenplanken des Lkws. Der zweite Wagen hatte einen platten Reifen, und aus seinem Kühler dampfte und zischte es. Ein anderer Lastwagen hatte ihren Weg gekreuzt, die Fahrer standen um das defekte Fahrzeug herum.
    Da ihre beiden Lkws länger stehen bleiben würden, vermittelte die Familie Marie und Jens die Weiterfahrt im anderen Lastwagen. Dessen Fahrer schien übermüdet zu sein. Nach zwei Stunden Fahrt durch die Nacht hielt er mitten in der Ebene an. Alle fielen sofort in tiefen Schlaf. Jens klemmte zusammengerollt im Fußraum des Führerhauses, Marie lag auf ihm, darüber hingen halb auf der Sitzbank der Fahrer und zwei weitere Männer.
    Schließlich weckte die Sonne

Weitere Kostenlose Bücher