Die verbotene Reise: Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Tor wollte gerade ein Bus abfahren. Jens klopfte heftig an dessen Seitenwand, der Fahrer stoppte noch einmal, und sie durften noch zusteigen. Die Fahrt ging ins Stadtzentrum. Auf dem Revolutionsplatz mit dem Süchbaatar-Denkmal stiegen sie aus und sahen sich um, ob ihnen jemand gefolgt war. Als sie sich sicher waren, dass sie unbehelligt bleiben würden, wich langsam die Spannung aus ihnen.
Kapitel 14 Die verbotene Reise
Marie? Gib mir mal bitte deine Hand.
Jens nahm ihre Hand und legte sie auf sein Bein. Marie spürte, dass etwas Flaches unter dem dicken Stoff seiner Hose eingenäht war.
Das sind ein paar Dollar. Ein Geschenk von Anke, falls wir auf der Reise in Not geraten.
Marie sah ihn fragend an.
Für unsere Visa nach China?
Jens hielt immer noch Maries Hand.
Ja, wir probieren es jetzt.
Sie saßen auf einer Bank im Schatten eines Baumes und blickten auf den fast menschenleeren Süchbaatar-Platz. Um sie herum lagen das Rathaus von Ulan Bator, das Kulturhaus der Stadt, die Staatsoper und einige Restaurants und Geschäfte. Die chinesische Botschaft war nicht weit entfernt.
Viele Westtouristen, die mit der Transsibirischen Eisenbahn bis hierher fahren, beantragen ihr Visum erst hier. Ich denke, keiner der chinesischen Beamten wird zum Telefonhörer greifen, in der DDR anrufen und fragen: Da sind zwei Ost-Berliner, darf ich denen ein Visum für China erteilen?
Marie lachte, weil Jens den Beamten nachmachte.
Ganz sicher ist das aber nicht?
Jens stand auf.
Zweimal in der Woche fährt ein Zug nach China. Morgen geht der nächste. Wir könnten drinsitzen.
SIE SUCHTEN die Straße, in der die chinesische Botschaft lag. Vor dem Gebäude blieben sie einen Moment stehen. Der Platz vor dem stattlichen Haus war mit einem Springbrunnen geschmückt.
Als sie schließlich vor dem zuständigen Beamten saßen, versuchten beide, ihre Anspannung zu überspielen. Jens schaute souverän drein, Marie lächelte. Sie hatten Formulare ausgefüllt und ihre Reisepässe abgegeben, Jens hielt demonstrativ Dollarscheine in seiner Hand.
Der chinesische Beamte, der eine schlichte, graue Mao-Jacke trug, sah sie prüfend an.
Sie blickten ihm selbstbewusst in die Augen.
Die Kontrolle der ausgefüllten Formulare zog sich hin.
Dann schlug der Beamte einen Stempel mehrmals lautstark auf die vor ihm liegenden Papiere.
Jens legte fünfzig Dollar auf den Tisch und bekam dafür Pässe und Visa ausgehändigt.
Als sie wieder auf der Straße standen, waren sie wie benommen. Ihnen war gelungen, was eigentlich unmöglich war. Sie fielen sich in die Arme.
Es war so einfach, unsere Reise kann weitergehen!, triumphierte Jens.
Wie weit?, fragte Marie.
Jens runzelte die Stirn.
Jetzt brauchen wir nur noch die Fahrkarten nach China. Lass uns unser Gepäck holen und dann auf zum Bahnhof!
Vor den Schaltern standen lange Schlangen.
Die Beamtin zuckte mit den Schultern. Für den Zug am nächsten Tag erhielten sie keine Tickets mehr.
Das Kontingent ist voll. Aber versuchen Sie es noch einmal zwölf Stunden bevor der Zug fährt! Dann gibt es vielleicht eine neue Lage.
Sie verbrachten die Nacht am Bahnhof. Am nächsten Tag standen sie wieder am Schalter.
Wir haben keine neue Meldung bekommen, der Zug hat Verspätung. Kommen sie wieder, zwei Stunden bevor der Zug abfährt!
Sie warteten in einem Restaurant in der Nähe und tranken Milchtee. Auf den Bahnsteigen sahen sie Angehörige der Miliz auf und ab gehen, manchmal kontrollierten sie jemanden.
Marie war nervös, und auch Jens blickte sich immer wieder um. Vielleicht hatte sich inzwischen herumgesprochen, dass die beiden im Gandan-Kloster kontrollierten Ausländer einfach abgehauen waren? Die Wartezeit wurde ihnen unerträglich lang. Zwei Stunden vor der Abfahrt gab es immer noch keine Neuigkeit.
Kommen Sie wieder, wenn der Zug da ist!
Der Zug rollte ein, aber er war voll belegt, sie durften nicht zusteigen.
Jens wollte nicht tatenlos weitere Tage in Ulan Bator verbringen. Marie, es gibt eine andere Möglichkeit. Wir trennen uns jetzt. In einer Stunde fährt ein Zug Richtung Russland. Ich fahre damit noch einmal zurück und versuche, an der ersten russischen Bahnstation hinter der Grenze eine Fahrkarte zu kaufen. Dort ist die Chance, eine Fahrkarte zu kriegen, größer, denn da steigen die meisten Leute zu, deswegen ist der Zug hier immer schon voll besetzt. Außerdem kann ich dann unsere letzten Rubel benutzen und alleine, ohne Gepäck, falle ich nicht so auf.
Marie zögerte etwas, nickte
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