Die verbotenen Evangelien: Apokryphe Schriften
meisten Fällen gar nicht um Evangelien handelte, sondern um Texte, die von Jesu Verkündigung und Wirken erzählten, sei es als Briefe oder als Predigten
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Ausnahmen stellen hier nur einige wenige Funde dar: die Papyri aus Oxyrhynchos in Ägypten, unter ihnen ein griechisches Fragment des in diesem Band präsentierten koptischen Thomasevangeliums, und Schriften, die frühe Textzeugen für die kanonischen Evangelien darstellen, wie z. B. das Papyrusfragment aus Fajjum, das einen Kurztext von Mk 14,27 und 14,29–30 bietet. Zu diesen Ausnahmen gehört aber auch der Papyrus Egerton 2
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Es handelt sich dabei um drei Blätter eines Buches, die einen Teil einer Papyrus-Sammlung darstellen, die ein Kaufmann im Sommer 1934 dem Britischen Museum in London verkauft hatte. Experten erkannten sofort den Wert dieser Blätter, und so wurde der Text schon im folgenden Jahr unter der Bezeichnung Papyrus Egerton 2 herausgegeben. Nach dieser Ausgabe, die von Harold Idris Bell und Theodore C. Skeat vorgenommen wurde, handelt es sich bei den drei Papyrusblättern um Fragmente eines Evangeliums, das sowohl synoptischen, als auch johanneischen sowie apokryphen Stoff bietet
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Die erste Altersbestimmung der Handschrift ergab, dass die Handschrift spätestens aus der Mitte des 2. Jahrhunderts nach Christus stammt. Daran erstaunlichist nicht nur, dass es sich damit um einen Text handelt, der die meisten Papyrusfunde der kanonischen Evangelien an Alter übertrifft, sondern vor allem auch, dass der Text in der Form eines Codex, also eines Buches abgefasst ist. Bis dahin hatte man vermutet, dass die Codexform erst viel später die Abfassung von Texten auf einer Buchrolle verdrängt habe
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Der Umfang des Fragments ist relativ bescheiden, er entspricht etwa 20 Versen in den kanonischen Evangelien, und doch scheint dieses Fragment eine viel größere Bedeutung zu haben. Es zeigt nämlich, dass schon sehr früh johanneische und synoptische Traditionen verbunden worden sind, ja, einige Forscher vertreten sogar die These, das dem Papyrus Egerton 2 zugrundeliegende Evangelium gehöre in eine Zeit, in der die im Neuen Testament bezeugte Trennung synoptischer und johanneischer Traditionen noch gar nicht bestand. Mit anderen Worten: Der in dem Fragment enthaltene Stoff könnte älter als die kanonischen Evangelien sein
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Mittlerweile ist jedoch ein weiteres Fragment von Papyrus Egerton 2 gefunden worden, der in Köln aufbewahrte Papyrus Nr. 255. Gehört dieser nach der Beurteilung von Michael Gronewald eher ans Ende des 2. Jahrhunderts als in dessen Mitte, so ist doch für Papyrus Egerton 2 die Abhängigkeit von den kanonischen Evangelien anzunehmen. Doch ganz gelöst ist das Problem noch nicht
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Inhaltlich bietet Papyrus Egerton 2 vier Teile: 1. ein im johanneischen Stil verfasstes Gespräch Jesu mit Gesetzeslehrern zur Frage der Gesetzesübertretung, das diese dermaßen aufbringt, dass sie Jesus zu steinigen versuchen, 2. die Heilung eines Aussätzigen durch Jesus, 3. eine Auseinandersetzung Jesu mit den Gesetzeslehrern über die Frage des Zinsgroschens — beide kommen den synoptischen Erzählungen nahe — und schließlich 4. ein bisher unbekanntes, daher apokryphes Wunder Jesu am Jordan, das freilich so schlecht erhalten ist, dass sein Abschluss nicht mehr zu rekonstruieren ist
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Die folgende Übersetzung unterteilt den Text – wie auf dem Papyrus erhalten – nach Blattnummern sowie nach Vorder- (r = Rekto) und Rückseite (v = Verso). Fehlende Passagen des stark beschädigten Fragments werden durch Auslassungspunkte gekennzeichnet
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(1 v) … Jesus sagte zu den Schriftgelehrten: „Bestraft jeden Übertreter und Gesetzlosen, aber nicht mich, … was er tut, wie er es tut.“
Joh 5,39: „Ihr durchforscht die Schriften, weil ihr meint, in ihnen ewiges Leben zu haben, und sie sind es, die Zeugnis geben über mich.“
Joh 5,45: „Denkt nicht, daß ich euch anklagen werde beim Vater; euer Ankläger ist Moses, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt.“
Joh 9,29: „Wir wissen, daß mit Moses Gott gesprochen hat; von dem aber wissen wir nicht, woher er ist.“
Zu den Führern des Volkes gewendet sprach er dieses Wort: „Erforscht die Schriften, in denen ihr das Leben zu haben glaubt! Sie sind es, die über mich Zeugnis ablegen. Meint nicht, dass ich gekommen bin, euch vor meinem Vater anzuklagen! Euer Ankläger ist vielmehr Moses, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt.“
Als sie aber sagten: „Wir wissen nur zu gut, dass Gott zu Moses
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