Die verbotenen Evangelien: Apokryphe Schriften
Fragment nach den Angaben des Bischof Serapion mit dem Petrusevangelium, dann ist es wohl um die Mitte des 2. Jahrhunderts entstanden. Und angesichts seines Wirkungsbereiches ist es vermutlich in Syrien geschrieben worden. Ob es jedoch auch aus dem judenchristlichen Umfeld stammt, ist in der Forschung immer noch umstritten. Für dieses Umfeld sprechen einige Zitate aus alttestamentlichen Schriften, dagegen aber die Unkenntnis der Verhältnisse in Palästina zur Zeit Jesu. Sicher ist, dass die Gemeinde, in der es um 200 n. Chr. nach Auskunft des Eusebius benutzt wurde, keiner häretischen Gruppe angehörte, sondern Teil der Großkirche war
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Diese Einschätzung ergibt sich aus den Informationen über Serapion. Der Bischof von Antiochien gestattete laut Eusebius der Gemeinde von Rhossos zunächst die Verwendung des Petrusevangeliums, verbot es jedoch später nach Durchsicht des Evangeliums vor allem aufgrund seiner doketischen Züge. Doketismus bezeichnet eine Lehre, die davon ausgeht, dass die gesamte historisch-menschliche Gestalt Jesu nur Schein war, d. h. dieser einen Scheinleib annahm und daher niemals als Mensch geboren wurde und wie ein Mensch leiden konnte. Nun zeigt das Petrusevangelium gerade in der Passion Jesu, dass es doketischen Anschauungen durchaus nahezustehen scheint. Jesus wird bei der Kreuzigung ohne Schmerzempfindung dargestellt (4,10), und sein einziger Satz „Meine Kraft, Kraft! du hast mich verlassen!“ (5,19), die das „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ der kanonischen Evangelien in bezeichnender Weise abwandelt, ist durchaus so zu verstehen, dass der präexistente Herr in diesem Moment seinen Scheinleib verlassen hat. Jedoch lassen sich diese Aussagen auch anders verstehen, die erste nämlich so, dass damit zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass Jesus seine Leiden standhaft ertrug, die zweite, dass der Verfasser an der Aussage Jesu, von Gott verlassen zu sein, Anstoß nahm. So ist es nicht sicher, ob man im Zusammenhang mit dem Petrusevangelium tatsächlich von Doketismus sprechen kann, zumal ja auch die kanonischen Evangelien von den Anhängern des Doketismus in ihrer Weise verstandenwurden. Diese Wirkungsgeschichte zeigt einmal mehr, wie fließend die Grenzen zwischen den erlaubten kanonischen und den verbotenen nicht-kanonischen Schriften sein konnten
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Für die Frage nach der Entstehung des Petrusevangeliums ist sein Verhältnis zu den kanonischen Evangelien entscheidend. Entgegen anders lautender Meinungen wird man daran festzuhalten haben, dass es von den kanonischen Evangelien abhängig ist. Dies zeigt sich an der Abfolge der Darstellung, die weitgehend der des Matthäusevangeliums folgt, und auch an den Bezugnahmen auf die drei anderen kanonischen Evangelien. Beispielsweise stammt von Lukas das Wort des Verbrechers an Jesus am Kreuz (4,13), von Markus die Flucht und das Schweigen der Frauen (13,57; vgl. 14,58) und von Johannes die Datierung des Todestages (2,5)
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Und doch ist das Petrusevangelium nicht nur ein von den kanonischen Evangelien abhängiges, jüngeres Werk. Zum einen nimmt es die kanonischen Evangelien nicht sklavisch und harmonisierend auf sondern setzt durchaus eigene Akzente. Zum anderen aber beinhaltet es auch ursprünglichere, „archaische“ Elemente. Dazu zählt z. B. die Verwendung von Zitaten aus dem Alten Testament ohne Zitateinführung in der Erzählung (z. B. 3,7 und 5,18). Hier wird eine Predigttradition greifbar, die gegenüber den kanonischen Evangelien als älter und ursprünglicher anzusehen ist. Und doch muss man sich fragen, ob es sich um eine genuine Tradition handelt, oder ob der Verfasser des Petrusevangeliums nicht bewusst „archaisiert“, um seinen Text älter erscheinen zu lassen und ihm dadurch größere Geltung zu verschaffen
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Mit Petrus, dem Ersten der Apostel, verleiht der Verfasser seinem Werk Autorität und stellt es den bereits vorhandenen Evangelien als Konkurrenz zur Seite. Gleichzeitig schließt er eine Lücke: Warum ist von Petrus kein Evangelium erhalten? Diese schon früh gestellte Frage, die etwa Papias von Hierapolis um 130 n. Chr. dadurch beantwortet, dass er Markus zum Sekretär des Petrus erklärt, wird durch das Petrusevangelium gegenstandslos
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Fazit: Trotz seiner auf frühe Überlieferung hinweisenden Elemente ist das Petrusevangelium im Ganzen ein von den kanonischen Evangelien abhängiges, späteres Werk
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Neben apologetischen, d. h. rechtfertigenden Zügen, zeigt sich in diesem Evangelium
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