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Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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ihr sanft über die Wange. Leise und so, dass es die anderen nicht hören konnten, fragte er: «Seid Ihr es nicht selbst, die sich diese Hölle erschaffen hat?»
    Dann wandte er sich zurück an alle Zuhörer. «Das Alter nenne ich die ausgleichende Gerechtigkeit, die Nemesis. Stellt Euch vor, dass ein jeder Mensch von Gott eine bestimmte Lebenskraft bekommen hat. Zur freien Verfügung. In der Jugend verschwendet man sie, sodass man im Alter nicht mehr genug davon hat. Nur die Liebe kann Euch neue Kraft schenken.»
    «Unfug», murmelte Gustelies und presste eine Hand gegen ihre glühende Wange, genau an die Stelle, an der der Prediger sie berührt hatte.
    Mutter Dollhaus aber zeigte mit dem Finger auf Jutta Hinterer: «Und wieder hat er recht, der Prediger. Seht meine Nachbarin, die Geldwechsler Jutta. Noch vor drei Monaten glich sie einem alten Weib. Jetzt hat die Liebe sie gefunden, und sie wird jeden Tag jünger und schöner.»
    Ein paar Frauen klatschten, andere tuschelten. Jutta schaute mit brennenden Wangen auf den Boden.
    «Und so ist es auch», erklärte der Prediger. «Die Liebe ist die einzige Macht, die den Teufel besiegen kann. Und nicht nur den Teufel, sondern auch Alter, Krankheit, Einsamkeit und Siechtum, Verbrechen und Krieg. Und deshalb sage ich Euch: Liebt und lasst euch lieben, denn nur so entkommt ihr der Hölle.»
    Gustelies konnte die Worte des Mannes plötzlich nicht mehr ertragen und auch seinen Blick nicht, der auf ihrem Gesicht lag. Alles, was er sagte, schien zu stimmen, und trotzdem hatte Gustelies das Gefühl, einem Schwindler und Aufschneider aufgesessen zu sein. Sie hatte geliebt, jawohl, sie wusste genau, wie die Liebe sich anfühlte. Und sie wusste noch etwas: Sie kannte das Gefühl, nicht geliebt zu werden. Und ja, das war die Hölle, aber Himmelherrgott, das war doch ihre ureigene Hölle. Niemand wusste davon. Keinem Menschen hatte sie sich damit je anvertraut.
    Sie fühlte sich durchschaut. Und das Durchschautwerden demütigte sie. So, als hätte der Prediger sie beim Baden durch das Schlüsselloch beobachtet. So, als reichte ein Blick von ihm, und er kannte alle ihre Gedanken. Mit einer Mischung aus Entrüstung und Scham wandte sie sich ab, doch es gelang ihr nicht, den Römer zu verlassen. Sie hing an den Worten des Predigers wie eine Marionette.
    «Liebt und lasst Euch lieben», rief er ihr nach. «Nur so entkommt Ihr der Hölle.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 11
    W ir haben eine Aufgabe, lieber Freund. Und diese Aufgabe duldet keinerlei Aufschub.» Bruder Göck musste den kurzen Weg von der Töngesgasse bis zum Liebfrauenberg gerannt sein, denn sein Gesicht war rot, auf der Stirn glänzten Schweißtropfen, und sein Atem ging in heftigen Stößen.
    Pater Nau hatte die Hände ordentlich vor dem Bauch gefaltet. «Was ist denn, Antoniter?»
    Bruder Göck zeigte auf die Weinkanne und ließ sich stöhnend auf die Küchenbank fallen.
    Gehorsam füllte der Pater seinem Freund den Becher. Der stürzte ihn in einem Zug hinunter, wischte sich die Lippen mit dem Kuttenärmel ab und grunzte wohlig.
    Für einen Augenblick sah Bruder Göck so rund und zufrieden aus wie einer von Hellas Säuglingen, doch gleich verdüsterte sich sein Gesicht. «Stell dir vor, das Mutterhaus in Grünberg hat beschlossen, den Antoniterhof in der Töngesgasse zu schließen.»
    «Was? Das kann doch nicht sein! Und … und was soll stattdessen dort passieren?»
    Der Mönch breitete die Arme aus. «Nichts wird dort passieren. Aus und vorbei wird es sein. Das Gelände wird verkauft werden, und ich – ich kann es kaum fassen – ich soll in das Kloster nach Grünberg zurück.» Mit vor Entsetzen geweiteten Augen starrte der Mönch auf den Pater. «Zurück ins Kloster, verstehst du? Ein geregeltes Leben, kein Ausgang, keine Geschäfte mehr, die ich zum Wohle des Ordens auf der Messe tätigen kann.»
    Der Pater verzog den Mund. «Das heißt, du würdest wieder ein stinknormaler Mönch werden, der täglich sechs Mal am Gottesdienst teilnimmt.»
    «Du sagst es, Freund. Ora et labora. Keine Debattierstündchen mehr beim Wein, keine Ausflüge in die Ratsschänke, keine leckeren Mahlzeiten von Gustelies, nur Armut, Keuschheit und Gehorsam.»
    «Das klingt schrecklich.» Der Pater nickte düster. «Aber hast du das nicht einmal gelobt, als du Mönch geworden bist?»
    «Gelobt, gelobt», regte sich Bruder Göck auf. «Was blieb mir denn anderes übrig, frage ich dich? Ich war der dritte von vier Söhnen, hatte keine

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