Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand
besonders helle, nicht wahr. Seine Eitelkeit ist gekränkt, das habe ich gemerkt, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er die Adele zum Sterben auf den Friedhof gelockt hat.»
«Nicht? Das kannst du dir nicht vorstellen? Aber ich. Ich kann das. Sehr gut sogar. Der Andres, weißt du, der war nicht immer so, wie er sich heute gibt. Ein schlimmer Bub war das. Einer, der den Katzen die Schwänze angezündet hat. Einer, der zugeschaut hat, wenn ein Fisch sich auf dem Trockenen zu Tode zappelte. Dem Andres», Henn hielt den Zeigefinger nach oben, «dem traue ich so einiges zu. Und auf dem Friedhof, da habe ich ihn oft genug gesehen. An Sommerabenden, wenn die Tagelöhnerinnen über den Friedhof heim in ihre Dörfer gingen. Da sprang er hinter den Grabsteinen hervor und buhte sie aus. So manche Maid hat lange gebraucht, sich von dem Schrecken zu erholen. Jetzt heißt es sogar, er hielte sich an ein Mädchen, welches schon einen Liebsten hat. Einen, der im Heer des Landgrafen ist.» Henn schüttelte den Kopf und blickte Gustelies an. «Ein Mann sollte wissen, wann er verloren hat, oder nicht?»
Gustelies schluckte. Sie wusste genau, dass Henn auf ihre gemeinsame Vergangenheit anspielte.
«Und trotzdem wolltest du ihn als Schwiegersohn?», fragte sie. Irgendetwas an Henns Worten hatte eine Saite in ihr zum Klingen gebracht. Irgendetwas war wichtig gewesen. Aber was? So rasch wie der Gedanke durch Gustelies’ Kopf flog, so rasch verblasste er auch wieder.
«Wäre er hier im Hause gewesen, dann hätte ich ihn schon unter Kontrolle gebracht», erwiderte Henn.
«Kann es sein?» Gustelies sprach leise und so, als wäre ihr der Gedanke gerade erst gekommen. «Kann es vielleicht sein, dass die Adele einen anderen Liebsten hatte?»
Henn schien diese Frage härter zu treffen als der Tod seiner Tochter.
«Adele?», fragte er fassungslos. «Einen anderen Liebsten? Niemals! Das hätte ich doch gespürt.»
Gustelies verzog den Mund zu einem halben, freudlosen Lächeln. «Wir Frauen verstehen uns darauf, die Männer zu täuschen», erklärte sie.
Henn schaute auf und sah Gustelies tief in die Augen. So tief, dass sie beinahe meinte, er könne ihre Gedanken lesen. Sie schluckte. Am liebsten hätte sie sich ihm an die Brust geworfen und geweint über ihrer beider Schicksal. Geweint darüber, dass sie sich vor so vielen Jahren gegen ihn entscheiden musste. Hatte sie Henn geliebt? Sie wusste es nicht mehr genau zu sagen. Wäre sie mit ihm gegangen, wenn er sie zur Flucht aufgefordert hätte? Auch das wusste sie nicht. War Adele in derselben Lage gewesen wie sie einst? Und war Adele mutiger gewesen? Hatte sie sich für die Liebe entschieden und gegen den eigenen Vater?
«Ist dir an ihr etwas aufgefallen? Hatte sie in der letzten Zeit einen größeren Bedarf an Schmuck und Zierrat?»
Henn schüttelte den Kopf. Dann stand er auf und ballte die Fäuste. «Den Andres, den knöpfe ich mir vor. Ich will wissen, was er mit meinem Kind gemacht hat.»
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Kapitel 26
D er Retter hasste Gewalt, weil er sie kannte, weil er sie am eigenen Leib erfahren hatte. Gewalt, so dachte der Retter, war ein Instrument des Teufels.
Er lag nachts oft lange wach, weil er nicht einschlafen konnte und auch nicht einschlafen wollte. Sobald er die Augen schloss, sah er die Bilder vor sich. Bilder, vor denen er nicht weglaufen konnte. Nicht weglaufen wie vom Krieg. Und er konnte sie hören, die Gewalt, hörte Schreie, Röcheln, vergebliches Bitten und Flehen.
Die Bilder waren sogar gekommen, wenn er gebetet hatte. Schlimmer noch: Je länger er betete, umso deutlicher wurden die Bilder. Er sah weit aufgerissene Münder, schwarz und zahnlos, aus denen dunkles Blut quoll. Er sah zerfetzte Bäuche mit heraushängenden Gedärmen. Und er sah die Frauen. Niemals, solange er lebte, würde er die Frauen vergessen. Noch immer hallten ihre Schreie in seinen Ohren. Vorher hatte er nicht gewusst, dass ein Mensch so schreien konnte. So in höchster Not, in unendlicher Qual. So schrill wie zerberstendes Glas. Er hatte in ihre Gesichter gesehen, jung und unschuldig, die von der Gewalt grau geworden waren, erloschene Augen, verschlossene Münder.
Eine hatte ihm gesagt, kurz bevor sie starb: «Man darf keine Kinder kriegen in einer solchen Welt. Froh bin ich beinahe, dass sie mir das Kind aus dem Leib geschnitten haben.» Und er hatte die Männer gesehen, die den Frauen das Herz aus der Brust rissen, die blutigen Batzen in die Höhe hielten,
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