Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand
mit irre rollenden Augen und grunzenden Lauten. Einer hatte sich das Herzblut der Toten ins Gesicht geschmiert, ein anderer hatte dem ungeborenen Säugling die Halsschlagader aufgeschlitzt und dessen Blut getrunken, in der törichten Hoffnung, nun unverwundbar zu sein.
Aber auch die nicht geschändeten, nicht getöteten Frauen waren von Gewalt keineswegs verschont geblieben. Er hatte ihre erloschenen Gesichter gesehen, wenn sie neben dem gefallenen Liebsten auf dem blutgetränkten Boden kauerten, heulten, den Leichnam umschlungen hielten und es nicht wagten, das Krummschwert aus seinem Hals zu ziehen. Er hatte Blut gerochen. Dick, süß. Immer würde er Blut riechen, das wusste er. Jeden Tag seines Lebens. Und Eiter und Kot und Verwesung. Er hatte gesehen, wie man Frauen die Brüste abschnitt, wie man Männern die Hände abschlug. Er hatte Münder mit abgetrennten Zungen gesehen und Füße mit abgehackten Zehen. Und all das war in Gottes Namen geschehen.
Deshalb betete er nun nicht mehr. Nicht einmal mehr in Gedanken. Gott, so hatte es in seiner Kindheit geheißen, gab das Leben und nahm es wieder. Er zweifelte nicht daran, zweifelte nicht an Gottes Existenz. Aber er hielt Gott nicht für barmherzig, sondern für einen Massenmörder. Und die Erde war nicht die Erde, sondern der Vorhof der Hölle.
Er hasste Gewalt. Ihm wurde schlecht beim Geruch von Blut, bei Schmerzensschreien. Besonders, weil er die Menschen so liebte. Vor allem die Frauen, aber auch die Kinder und die Männer. Die meisten hatten es nicht verdient, in der Erdenhölle zu schmoren. An einem Ort, an dem es kein Vergessen, kein Vergeben gab, sondern nur Erinnerungen. Und Erinnerungen, das wusste der Retter, waren schlimmer als alles andere. Erinnerungen trübten jeden Tag, webten Schleier vor die Sonne, legten sich als dunkler Rauch über frischgefallenen Schnee. Die Erinnerungen klangen als Schreie in den Kirchenglocken, im Lachen der Mägde, im Juchzen der Kinder. Manchmal kam es ihm sogar so vor, als könne er durch die Kinderkörper hindurchsehen und all das Elend erkennen, welches auf sie wartete. Dann wollte er die Kinder beschützen, sie mit sich nehmen, auf dass niemand ihnen etwas antun könnte. Aber das Recht hatte er nicht. Dieses Recht hatten nur die Mütter.
Er aber war der Retter der jungen Frauen, denen das Unglück schon durch die blasse Haut schien. Er liebte sie, diese Frauen. Jede einzelne. Sie waren wunderschön und zart und sanft. Und er würde retten, so viele er konnte. Ihre letzten Erinnerungen sollten sogleich ihre schönsten sein, denn die würden sie mit in die Ewigkeit nehmen und unendlich lange davon zehren müssen.
Es war heiß, als Gustelies das Haus von Henn Goldschlag verließ und durch die Fahrgasse hinüber zum Liebfrauenberg ging. Selbst die Häuser schienen sich unter der Last der Sonne zu ducken. Katzen lagen träge im Rinnstein, eine Magd fächelte sich mit einer Hand Luft zu, während die andere einen schweren Einkaufskorb hielt.
«Ach, Pfarrhaushälterin. Wie gut, dass ich Euch treffe.» Der alte Heumüller trat Gustelies in den Weg. «Wisst Ihr, was da los ist?»
Er deutete mit der Hand hinter sich in Richtung Römer. Gustelies kniff die Augen ein wenig zusammen. In letzter Zeit konnte sie nur schwer die Dinge erkennen, die in einiger Entfernung geschahen. «Was ist denn da, Heumüller?», fragte sie und konnte doch das Geschrei bis hierher hören.
«Ich weiß es nicht. Ich dachte, Ihr könntet es mir sagen. Die Menschen laufen herum wie aufgescheuchte Hühner. Ein Herold reitet herum und verkündet an jeder Ecke die neuesten Neuigkeiten. Aber glaubt Ihr vielleicht, jemand käme zu uns hinauf auf die Bleiche, um uns zu unterrichten?»
Gustelies zuckte mit den Schultern. «Bald wird jemand kommen, der über die Bleiche nach Bornheim will. Fragt den, der wird wissen, was hier los ist.» Sie nickte dem Heumüller zu und wollte nach Hause gehen, doch dann siegte die Neugier. Auf dem Absatz drehte Gustelies sich um und begab sich zurück zum Römer. Auf dem Platz standen unzählige Menschen, an allen Ecken wurde getuschelt und geschwatzt, aber von dem Prediger war nichts zu sehen.
«Was ist denn geschehen?», fragte Gustelies eine Frau, die sie vom Sehen kannte.
«Es heißt, eine Tote soll es geben. Es heißt, man hätte sie mitten auf dem Römer ausgestellt. Im weißen Kleid hätte man sie an den Brunnen der Justitia gelehnt, mit einer roten Rose in der Hand und einem Aschenkreuz auf der
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