Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand
«Mir wird ganz schlecht dabei. Also los, gehen wir. Hol das Weib aus dem Verlies und bringt es in die Folterkammer. Ich gehe schon vor.»
Mit einem riesigen Schlüssel, der ansonsten gut verschlossen im Rathaus hing, schloss Blettner die Folterstube auf. Zuerst wischte er die Spinnweben von der Streckbank und den Flaschenzug zum Aufziehen der Malefikanten. Er drehte ein wenig an der Kurbel und wunderte sich, dass sie unbändig knarzte. «Hier muss mal einiges geölt werden», murmelte Blettner vor sich hin.
Schon kam der Henker und schleifte das Weib an den gebundenen Händen hinter sich her. Er stieß sie zwar nicht roh, aber auch nicht sanft auf einen hölzernen Stuhl, vor dem zwei Holzblöcke lagen, in die man die Füße einschrauben und zerquetschen konnte.
Blettner setzte sich auf einen Schemel gegenüber, während der Henker mit gespreizten Beinen und vor der Brust verschränkten Armen neben der Tür Platz genommen hatte.
Das Weib schwitzte stark. Ihr Schweißgeruch drang dem Richter in die Nase, sodass er mit der Hand wedelte. Ihre Augen rollten wild in den Höhlen herum. Sie wimmerte und japste, als bekäme sie kaum Luft.
«Was weißt du über die vier toten Frauen?», fragte der Richter.
Das Weib riss den Mund auf, doch kein Wort verließ ihre Kehle. Sie zitterte am ganzen Leib.
«Was weißt du über die toten Frauen?», fragte Blettner erneut.
Wieder wollte das Weib sprechen, und wieder versagte ihr die Stimme. Sie war halb verrückt vor Angst, ihre Blicke schwirrten wie Fledermäuse durch den Raum.
Blettner seufzte und wandte sich an den Henker. «Was nun?»
Der Henker machte dem Richter ein Zeichen, und beide verließen die Folterstube. Als sie draußen waren, heulte das Weib auf, und es klang so jämmerlich wie das Heulen eines sterbenden Tieres. Der Richter zog die Schultern zusammen. «Mir läuft es kalt den Rücken herunter, wenn ich das höre», erklärte er.
«Die ist so verängstigt, aus der bringt Ihr nichts heraus. Die stirbt eher am Schlagfluss, wenn wir so weitermachen.» Er kicherte ein wenig, und in dem dunklen Gang, der nur spärlich von Fackeln erhellt war, klang dieses Kichern wie das Heulen des Höllenhundes. «Sie weiß ja nicht, dass wir die Foltergeräte noch niemals angewendet haben. Jedenfalls nicht, solange ich der Henker bin und Ihr der Richter seid.»
Blettner nickte. «Ich habe auch nicht vor, daran etwas zu ändern. Du vielleicht?»
Der Henker verzog das Gesicht. «Ich hasse die Folter. Und ich glaube auch nicht, dass sie von großem Nutzen ist.»
«Und wie machen wir jetzt weiter?»
Blettner kratzte sich am Kinn. «Es ist schon spät. Wir werden morgen noch einmal wiederkommen.»
Er stieg die Treppe nach oben und befahl dem Wärter, die Frau zurück in ihre Zelle zu bringen. Dann begab er sich nach Hause.
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Kapitel 33
D er Retter hatte genug. Er war so unsagbar traurig, dass er es kaum vermochte, aufzustehen und den Tag zu beginnen. Er lag auf seiner ärmlichen Bettstatt, die Arme unter dem Kopf verschränkt, und dachte an das letzte Mädchen, welches er heim zum Liebsten hatte bringen wollen. Ein Mädchen, das zu schön war, zu liebreizend, um alt zu werden. Ein Mädchen, dem er das Glück der nicht erlebten Enttäuschungen schenken wollte. Aber wie sehr hatte er sich getäuscht! Eine Dirne war sie gewesen, diese Elfrun, eine Kebse, eine, der die Schönheit nicht zustand. Es sei denn, zu ihrem Verderben. Und nun hatte er die Falsche errettet, hatte ihr zuteilwerden lassen, was sie nicht verdient hatte. Oh, wie er sich ärgerte! Er war doch der Retter, er durfte sich keine Fehler erlauben. Er hatte eine Aufgabe, eine Mission, und niemand sollte ihn davon abbringen können. Und nun war geschehen, was er niemals wiedergutmachen konnte. Er hatte eine gerettet, welche die Rettung nicht wert war, welche das weiße Kleid nicht wert war und nicht das Aschenkreuz auf ihrer Stirn. Er hatte einen unverzeihlichen Fehler begangen. Er hatte seine Aufgabe als Retter verraten. Er war verloren. Mehr als das. Er war nicht nur eine verlorene Seele, er war seiner Seele mit diesem Fehler verlustig gegangen. Jetzt war er kein Retter mehr, jetzt durfte man ihn getrost als das bezeichnen, was er war: ein Mörder.
Oh, wenn er doch aufgehört hätte nach den Ereignissen am Mainufer! Wenn er doch da schon begriffen hätte, dass die meisten Weiber Ausgeburten der Hölle waren und es nicht anders verdient hatten, als in dieser Hölle zu schmoren. Wenn er doch da
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