Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
und die Hände hinter dem Rücken.
«Ich muss tun, was ich tun muss», sagte er, und Hella war überrascht, wie traurig und trostlos seine Stimme dabei klang.
Am liebsten hätte sie geschrien und getobt, aber nun war sie verantwortlich für das winzige Kind in der Kammer gegenüber. Und so schwieg sie, schloss nur die Augen, als der Mann der Toten den Skalp nahm, sie sodann mit einem nassen Laken bedeckte.
«Ich muss fort», erklärte der Mann. «Es dauert nicht lange, nur ein paar Stunden.»
Hella nickte. «Das Kind, es wird Angst haben so allein.»
Der Jedermann schüttelte den Kopf. «Es schläft. Nach der Geburt schlafen sie immer stundenlang. Wenn ich wiederkomme, werde ich Stutenmilch dabeihaben.»
«Und dann?», wagte Hella zu fragen.
Der Mann zuckte mit den Achseln. «Es wird sich alles finden. Das Kind wird eine richtige Mutter bekommen. Eine, die es verdient hat.»
Hella nickte, schloss die Augen, um die Tränen zurückzuhalten, doch sie quollen trotzdem unter ihren Lidern hervor.
Der Jedermann überprüfte ihre Fesseln, fand sie stark genug. Dann hörte Hella ihn die Stiegen hinuntergehen. Kurze Zeit später fiel die Haustür ins Schloss.
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Kapitel 42
M inerva irrte durch den Wald, hastete dem Hund hinterher, der sich nicht an den Pfad hielt, sondern über Stock und Stein sprang. Sie hatte keine Ahnung, wohin der Hund sie führen würde, aber sie hoffte, dass er den Weg zum Waldhaus einschlug.
Zweige peitschten ihr ins Gesicht, sie spürte warmes Blut über ihre Wange laufen, doch sie hielt nicht inne, hetzte dem Hund nach. Manchmal blieb das Tier stehen, sah sich mit hängender Zunge nach ihr um und rannte weiter, sobald es sie erblickte. Minerva hatte den Eindruck, dass der Hund ihr etwas zeigen wollte, und zugleich wusste sie doch, dass der Hund nur das tat, was er mit seinem Herrn immer getan hatte. Die Försterswitwe hatte nämlich, nachdem Jutta versorgt war, berichtet, dass der Stumme ihren Mann wieder und wieder kommen ließ, um sein Haus im Walde zu segnen. Ein komischer Mensch sei er, der Stumme, hatte sie erzählt. Nicht ein Wort sei ihm zu entlocken gewesen, so viel ihr Mann – Gott habe ihn selig – auch in ihn gedrungen sei, um herauszufinden, warum er so viel göttlichen Beistand brauchte. Und dabei sei er in Wahrheit gar nicht stumm, jawohl, sie wisse das, denn sie hat gehört, wie er dem Hund einmal einen kurzen Fluch hinwarf.
An einem Bach ließ sich Minerva erschöpft nieder. Der Hund schlabberte das kühle Wasser, und auch Minerva trank. Sie band ihr Haar zurück, strich dem Tier über den Kopf. Sie war so erschöpft wie noch nie zuvor in ihrem Leben, und gleichzeitig spürte sie eine Kraft in sich, die ihr half, aufzustehen und dem Hund weiter hinterherzurennen.
Ihr schien, als irrten sie schon stundenlang durch diesen Wald, der ihr an manchen Stellen undurchdringlich erschien. Ihre Füße brannten, die Seiten stachen, sodass sie nach Atem ringen musste. Längst war ihr Rock bis zu den Knien mit Erde und Staub bedeckt. Ihr Mieder war zerrissen, und in ihrem Haar hatten sich Zweige und Blätter verfangen.
Aber Minerva lief und lief, ohne innezuhalten. Sie wusste, wenn sie jemals dazu bestimmt gewesen war, Leben zu retten, dann
in diesem Augenblick.
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Kapitel 43
H ella riss an den Fesseln, ruckelte mit dem Stuhl, wand Arme und Füße, den Blick dabei auf die tote Frau unter dem Laken gerichtet, deren Blut durch jede Faser des Leinenstoffes gedrungen war und als winziges Rinnsal zu Boden tropfte. Hella konnte das Blut riechen, süß und schwer. Ihr schien, als setze sich der Geruch auf sie, in ihr Haar, auf ihr Gesicht, in die Kehle. Ihr wurde übel. Jetzt erst begriff sie in ganzem Umfang, was der Jedermann hier in seinem Waldhaus tat. Lilo würde die Nächste sein. Und die Übernächste, das würde sie sein.
«Nein!», schrie Hella mit ganzer Kraft. «Nein, Lilo, so hilf doch. LILOOOOO !»
Aus dem Nebenzimmer war kein Geräusch zu hören, und Hella begann vor Verzweiflung zu weinen. «Lilo!», rief, schrie, brüllte, flüsterte, schluchzte sie, und als endlich ein Geräusch aus der Nachbarkammer drang, war sie so erleichtert, dass sie leise aufschrie. «Lilo, Lilo, komm her, komm schnell.»
Von drüben klang es, als würde ein Stuhl umstürzen, dann ging die Tür auf, und kurze Zeit später erschien die junge Seifensiederin auf der Türschwelle. Ihr Gesicht wirkte verschwollen, die Augen waren halb geschlossen.
«Was
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