Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
passiert?»
Gustelies ließ sich mit wichtiger Miene auf dem Bettrand nieder. «Eine Frau ist ermordet worden», berichtete sie. «Ihre Leiche wurde am Ufer des Mains gefunden. Und stell dir nur vor, sie war ausgeweidet wie ein Stadthase. Sogar das Kind hatte man ihr aus dem Leib geschnitten.»
«Und sonst?» Pater Nau hatte einen angespannten Gesichtsausdruck.
«Was denn noch? Reicht dir das etwa nicht?»
«Doch, doch. Natürlich. Die Erde ist in Frevlerhand, ich sag’s ja immer. Gab es sonst noch Merkwürdigkeiten an der Toten?»
Gustelies stand auf und schüttelte den Kopf. «Manchmal verstehe ich dich nicht. Einen Tag bist du so empfindsam, dass du nicht einmal ein Stück Schweineschwarte essen kannst, und am anderen Tag können es dir gar nicht genug Grausamkeiten sein.»
Pater Nau wurde bleich um die Nase. Er schluckte, dann sagte er mit schwacher Stimme: «War denn nun noch etwas Besonderes an der Toten?»
Gustelies schüttelte den Kopf.
«Dann könnten wir ja heute Abend mit Hella und Heinz eine Kanne Wein trinken, oder nicht? Ich bin krank. Abwechslung würde mir guttun.» Pater Nau schaffte es, so unschuldig wie ein Osterlämmchen zu gucken.
Gustelies zuckte unentschlossen mit den Achseln. «Ich habe heute Nachmittag etwas vor. Jutta und ich müssen einen Besuch machen. Zum Kochen komme ich da nicht. Aber du hast recht: Heinz und Hella könnten ruhig zu uns kommen. Ich schicke gleich den Nachbarsjungen hinüber, um Bescheid zu geben.»
Pater Nau entspannte sich und lehnte sich zurück in sein Kissen. «Dann schlafe ich jetzt noch ein wenig», verkündete er. «Im Schlaf heilt jede Krankheit.»
Gustelies nickte, dann ließ sie ihren Bruder allein.
Zwei Stunden später schleppte Gustelies einen vollen Sack in Richtung Römer. Jutta Hinterer wartete bereits vor ihrer Geldwechselstube. Auch sie hatte ein Bündel an einem Stock über der Schulter.
«Bist du bereit?», fragte Gustelies die Freundin.
«Zu jeder Schandtat», erwiderte Jutta, dann stiefelten die beiden Frauen über die Brücke hinüber nach Sachsenhausen.
«Weißt du, wo genau das Findelhaus liegt?», fragte Jutta und ließ schwer atmend ihr Bündel fallen.
«An der Straße, die hinaus in Richtung Darmstadt führt. Es ist nicht mehr weit.»
«Was genau wollen wir dort eigentlich fragen?», wollte Jutta wissen. «Ich meine, wir können uns doch da nicht einfach forsch erkundigen, ob kürzlich ein Findelkind aufgenommen wurde.»
«Warum nicht?», wollte Gustelies wissen. «Ich bin die Haushälterin eines Paters. Es ist sozusagen meine Aufgabe, mich um die Schwachen und Wehrlosen zu kümmern.»
Jutta lachte. «Deine Aufgabe? Die gute Frau vom Liebfrauenberg, was? Wer soll dir denn das glauben?»
Gustelies lächelte schief. «Na ja, die da drüben in Sachsenhausen wissen vielleicht nicht ganz so viel über mich wie die auf unserer Mainseite. Womöglich habe ich Glück, und sie wissen nicht einmal, dass der Blettner mein Schwiegersohn ist.»
«Wollen wir es hoffen», erwiderte Jutta. «Eine Geldwechslerin, die plötzlich die Nächstenliebe entdeckt hat, ist nämlich noch unglaubwürdiger als eine heimliche Criminalermittlerin.»
Als die beiden am Findelhaus ankamen, waren sie vollkommen erschöpft. Vor der Tür blieben sie stehen, ließen ihre Bündel fallen und sahen sich um. «Das ist aber merkwürdig», stellte Jutta Hinterer fest.
«Was denn?»
Jutta sah ihre Freundin an. «Ich war zwar noch nie in einem Findelhaus, aber ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, warum eine solche Einrichtung eine so hohe Mauer braucht.»
«Du hast recht», bestätigte Gustelies. «Und weißt du, was noch komisch ist? Dass es hier so ruhig ist. Wo Kinder sind, herrscht normalerweise Lärm und Geschrei. Aber hier ist nichts. Gar nichts. Es ist so still wie auf einem Friedhof.»
Die beiden Frauen sahen sich bedeutungsvoll an, dann betätigte Jutta energisch den großen Messingklopfer, der in der Mitte einer mit Eisen verstärkten Holztür hing.
Es dauerte eine Weile, bis sich die Tür endlich einen Spaltbreit öffnete. Eine ältere Frau steckte ihren Kopf heraus. «Was ist?», fragte sie mürrisch.
Gustelies lächelte ihr Sonntagsmessenlächeln und deutete auf den Sack zu ihren Füßen. «Wir bringen ein paar Sachen für die armen Kinder hier.»
Die Frau öffnete die Tür noch ein Stück weiter, griff nach dem Sack und wollte ihn hineinziehen. «Gottes Dank ist Euch gewiss.»
Gustelies schnappte den Sack am anderen Ende. «Nicht
Weitere Kostenlose Bücher