Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
Krafft von Elckershausen.
«Na, wie geht es voran mit der Toten?»
Blettner zuckte mit den Achseln. «Eigentlich gar nicht, Ratsherr. Wir wissen nicht, wer sie ist.»
Der Schultheiß legte ihm einen Arm um die Schulter. «Nun, dann können wir den Fall zu den Akten legen. Eine unbekannte Tote heißt ja wohl, dass die Frau keine Bürgerin unserer Stadt war. Macht einen Vermerk und beendet den Fall.»
Richter Blettner stand für einen Augenblick der Mund offen. «Aber warum denn das?», fragte er.
Krafft von Elckershausen seufzte. «Ihr wisst doch selbst, was in Frankfurt gerade los ist. Der Kaiser droht der Stadt mit einer kaiserlichen Acht, weil ein paar Kirchen sich der neuen Lehre angeschlossen haben. Wir müssen alles tun, um dem Kaiser nicht noch neue Munition zu geben. Die Stadt hat viel zu verlieren. Zuvorderst ihren Status als Reichsstadt. Ihr wisst, was das bedeutet? Keine Messen mehr, keine Krönungen. Wir verkommen zu einem Provinznest. Der Reichtum versiegt, und schon bald sind wir das Armenhaus des Landes. So sieht es aus.»
Blettner machte sich los. «Wollt Ihr damit sagen, Ratsherr, dass die Tote ungesühnt bleibt, weil die Stadt sonst verarmen könnte?»
«Jetzt seid doch nicht so theatralisch, Richter. Die Tote ist tot. Zum Leben erwecken könnt Ihr sie nicht. Also sorgt wenigstens dafür, dass wir anderen hier unser Auskommen behalten. Der Kaiser ist verärgert und droht mit Sanktionen. Im Rat sieht es nicht besser aus. Die Vertreter der Zünfte drängen auf Abschaffung der katholischen Gottesdienste. Sie wollen, dass Frankfurt ganz und gar der neuen Lehre anhängt. Die Patrizier sind da gemäßigter. Und über uns allen schwebt das Schwert des Kaisers und des Erzbischofs von Mainz. So leid es mir tut, Richter, aber einen neuen Criminalskandal können wir uns nicht leisten. Der Kaiser und der Erzbischof würden sofort behaupten, Tod und Verderben seien uns von den Lutherischen gebracht worden. Sie würden die Lutherischen verbieten. Nun gehören aber einige Patrizier und viele Zunftmeister zu den Neugläubigen. Wollen wir denen etwa Ärger machen? Das hieße wahrhaftig, der Stadt die Lebensader zu durchtrennen. Also, Blettner, stellt Euch nicht so an. Wie gesagt. Die Tote ist tot und bleibt es auch. Schließt die Akte, und es ist für uns alle am besten so.»
«Und was soll ich als Begründung hineinschreiben?»
Der Schultheiß kratzte sich am Kopf. «Gab es nicht Wölfe hier in der Gegend? Der Winter war hart und lang. Noch immer liegt Schnee auf den Höhen. Ja, so machen wir es. Schreibt, dass ein Wolf sie angefallen und zerrissen hat. So etwas kommt schließlich immer wieder vor. Und wenn niemand einen Wolf in unserer Gegend gesehen hat, dann schreibt meinetwegen etwas von wilden Hunden. Euch fällt schon etwas ein, Richter.»
Als Gustelies zurück ins Pfarrhaus kam, lag Pater Nau noch immer im Bett, daneben saß Bruder Göck und aß die letzten kalten Schmalzfladen.
«Wie geht es dir?», fragte Gustelies und beugte sich zu ihrem Bruder hinab, um ihm die Hand auf die Stirn zu legen. «Pfui Teufel», schrie sie auf. «Du hast Wein getrunken.» Wütend funkelte sie den Antonitermönch an. «Und Ihr, Bruder Göck, habt den Wein aus dem Keller geholt.»
Bruder Göck machte den Mund auf und hob den Zeigefinger, doch Gustelies unterbrach ihn. «Lügt mich bloß nicht an, ich kriege sowieso alles heraus.»
Dann packte sie den Mönch bei seiner Kutte und zerrte ihn vom Stuhl. «Ihr geht jetzt zurück in Eure Abtei, mein Lieber. Pater Nau ist krank, er braucht Ruhe.»
«Ich wollte ihm Trost spenden», maulte Bruder Göck. «Es ist nicht gut, einen Kranken allein zu lassen.»
«Trost habt Ihr ja nun genug gespendet, und ab sofort bin ich wieder da. Also raus mit Euch! Ihr könnt morgen wiederkommen.»
Sie gab dem Antoniter einen leichten Stoß und schob ihn in Richtung Tür. Als er hinaus war, wandte sie sich wieder ihrem Bruder zu. «Und? Wie geht es dir? Ich hoffe, der Wein stößt dir sauer auf.»
«Oh!» Pater Nau begann zu stöhnen. «Mein Kopf. Er brummt und summt. Die Erde ist ein Jammertal und das Leben ein Graus.»
«Es geht dir also besser», stellte Gustelies fest und fuhr fort: «Das ist auch gut so. Du musst so schnell wie möglich wieder auf die Kanzel. In der Stadt blüht einmal wieder das Verbrechen. Die Leute brauchen Zuspruch und die Vergewisserung des rechten Weges, jawohl.»
Pater Nau setzte sich auf und schob sich das Kissen in den Rücken. «Erzähl. Was ist
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