Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
so schnell, gute Frau. Wir würden gern hereinkommen und uns ein wenig umsehen. Wissen Sie, ich bin die Haushälterin der Liebfrauengemeinde drüben auf der anderen Mainseite. Es gibt zahlreiche vermögende Leute in unserer Kirche. Wenn ich mit eigenen Augen sehen könnte, was hier gebraucht wird, so werde ich mein Bestes tun, Euch dies zu beschaffen.»
Die Frau kniff die Augen zusammen und musterte Gustelies und Jutta misstrauisch. Dann zuckte sie mit den Achseln. «Ich kann Euch nicht hereinbitten. Ich bin ganz allein hier, und das Essen muss gekocht werden. Kommt am Sonntag wieder, da ist Vater Raphael da. Er leitet dieses Haus, und er kann Euch auch alles zeigen.»
Schneller, als Gustelies den Mund aufbekam, krachte die Tür vor ihr ins Schloss. Verblüfft sah sie zu Jutta, die mit ebenso verdutztem Gesicht danebenstand.
«War das eben merkwürdig, oder kam mir das nur so vor?», fragte sie.
Gustelies legte einen Finger auf die Lippen. «Pscht!», raunte sie und näherte ihr Ohr der Tür.
«Was ist?», drängelte Jutta. «Was hörst du?»
Gustelies trat zurück und schüttelte den Kopf. «Nichts. Ich habe rein gar nichts gehört. Und genau das ist das Merkwürdige. Jutta, ich sage dir, hier stimmt etwas nicht. Und am Sonntag werde ich hier sein. Das steht so fest wie das Amen in der Kirche.»
«Halleluja. Ich bin dabei», erwiderte Jutta Hinterer.
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Kapitel 9
S chon von weitem hörte Heinz Blettner den Lärm, der aus dem Roten Ochsen kam. Einen Augenblick lang überlegte er, kehrtzumachen, doch dann fiel ihm wieder ein, dass die Ratsschänke wegen eines Wasserschadens geschlossen hatte. Und Blettner brauchte jetzt eine Erfrischung. Unbedingt. Die abendliche Kanne Wein gehörte für ihn zu seiner Arbeit wie für Gustelies das Salz zum Kochen.
Wenn ein Fall sich nicht von alleine lösen ließ – und wann war das schon einmal so? –, ging der Richter direkt vom Malefizamt in die Ratsschänke, saß zumeist allein an einem Tisch in der Ecke und grübelte über den Fakten, die sich nicht zu einem Bild zusammenbasteln ließen. Der Lärm der anderen störte ihn dabei wenig. Aber nun war die Ratsschänke geschlossen, und Richter Blettner musste sich einen anderen Ort zum Nachdenken suchen. Dabei war ihm der Rote Ochse eingefallen. Er kannte die Herberge aus einem anderen Criminalfall wie seine Westentasche. Zwar vermied er es eigentlich, Orte aufzusuchen, die früher einmal im Mittelpunkt seiner Ermittlungen gestanden hatten. Beim Roten Ochsen lag die Sache ein bisschen anders. Die ehemaligen Besitzer saßen im Verlies, der neue Pächter, der zufällig Eduard Ochs hieß und deshalb unbedingt die Herberge haben wollte, hatte alles neu anstreichen lassen, sodass im Grunde nicht mehr als der Name an die ehemalige Herberge erinnerte.
Richter Blettner stieß die Tür auf und machte dem Schankmädchen ein Zeichen.
Kurz darauf stand eine Kanne Wein vor ihm.
«Was ist denn hier los?», fragte er und deutete auf die rappelvolle Wirtsstube.
Das Schankmädchen zuckte mit den Achseln. «Die Wirtin, die Ricka, sie hat vor zwei Tagen einen gesunden Säugling zur Welt gebracht, obwohl sie die Hoffnung auf eigene Kinder schon aufgegeben hatte. Und seither wird gefeiert. Der Wirt lässt sich nicht lumpen und schenkt Freibier in Strömen aus.»
Das Mädchen zuckte noch einmal mit den Achseln, stülpte die Unterlippe vor und stapfte davon.
Am Nebentisch schlug sich einer auf die Schenkel. «Wenn das nicht wirklich ein Grund zum Feiern ist», rief er und sah seine Tischgenossen beifallheischend an. «Nicht schwanger, aber plötzlich ein Kind. Das hat noch nicht einmal unsere Heilige Jungfrau zuwege gebracht.»
Die anderen brüllten.
Richter Blettner hörte nicht darauf, sondern schenkte sich den ersten Becher Wein ein und begann mit seiner Grübelei. Krafft von Elckershausen hatte ihm befohlen, den Fall zu den Akten zu legen. Heinz Blettner wusste, dass der Schultheiß nicht aus Nachlässigkeit, sondern aus politischen Überlegungen heraus handelte. Und er verstand die Entscheidung des zweiten Bürgermeisters sogar. Aber er, Heinz Blettner, war kein Politiker. Er war Richter, und seine Frau war schwanger. Ich muss, dachte er, wenigstens eine ordentliche Begründung haben, um den Fall abzuschließen. Vielleicht ist es sogar so, wie der Schultheiß gesagt hatte, vielleicht war es ein sehr ungewöhnlicher Unfall. Aber nur auf seinen Befehl hin kann ich diese Akte nicht schließen. Ich brauche etwas,
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