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Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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    H albtot vor Angst und Schrecken hockte Pater Nau in seinem Beichtstuhl. Gustelies hatte ihn nicht gehen lassen wollen, und auch Bruder Göck hatte angeboten, ihn zu vertreten, doch der Pater war stur geblieben. Das hier war seine Aufgabe. Gleichgültig, wie schlecht es ihm ging, er musste hier ausharren und Gott bitten, ihn heute mit einem weiteren Skalp zu verschonen.
    Bruder Göck hatte ihn ohnedies schon auf den merkwürdigen Geruch in der Sakristei angesprochen, und Pater Nau wusste, wenn erst Gustelies kam und herumsuchte, war das Jüngste Gericht für ihn nicht mehr weit.
    Nau seufzte und wischte sich mit einem Tuch über die schweißnasse Stirn, obwohl es in dem alten Gemäuer noch immer bitterkalt war. Bei jedem Knarzen der Beichtstuhltür zuckte er zusammen, und kalte Schauer jagten über seinen Rücken. Sieben Mal war das heute schon geschehen. Er hatte zwei üble Nachreden, drei Lügen, einen Fall von argem Neid und Mutter Dollhaus’ Wollust vergeben. Jetzt war Pater Nau am Ende seiner Kräfte und ersehnte nichts so sehr wie eine Kanne Wein vom Weingut Burg aus Dellenhofen.
    Er lauschte, und als alles still blieb, atmete er auf, angelte nach seinen Schuhen und rappelte sich von der Bank hoch. Eben wollte er nach der Tür greifen, als von nebenan eine dunkle, leise Stimme erklang:
    «Wenn man doch meinen Unmut wöge und mein Leiden zugleich in die Waage legte!
    Denn nun ist es schwerer als Sand am Meer; darum gehen meine Worte irre.
    Denn die Pfeile des Allmächtigen stecken in mir: derselben Gift muss mein Geist trinken, und die Schrecknisse Gottes sind auf mich gerichtet.
    Das Wild schreit nicht, wenn es Gras hat; der Ochse blökt nicht, wenn er sein Futter hat.
    Kann man auch essen, was ungesalzen ist? Oder wer mag kosten das Weiße um den Dotter?
    Was meine Seele widerte anzurühren, das ist meine Speise, mir zum Ekel.»
    Stumm und mit gefalteten Händen hockte der Pater auf seiner Bank, den Blick zum Himmel gerichtet. «Wieder Hiob. Bitte, Herr», betete er im Geist. «Erspar mir diese Prüfung. Ich bin alt. Ich bin nicht stark. Und ich gebe auch zu, dass ich nie ein guter Pater war. Aber bitte, Herr, lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Du selbst hast gesagt, dass ein Mensch nicht mehr ertragen muss, als er tragen kann. Sieh, Herr, dies kann ich nicht tragen. Nenn mich feige, nenn mich schwach, egal, aber verschon mich mit weiteren Kopfschwarten.»
    Vor lauter Qual hatte Nau nicht gehört, dass der Fremde den Beichtstuhl verlassen hatte. Zitternd hing er auf seiner Bank, unfähig, aufzustehen und sich in die Nachbarkammer zu begeben.
    Erst als sein Durst so groß wurde, dass ihm die Zunge schier am Gaumen klebte, rappelte sich der Pater auf.
    Müde und mit hängenden Schultern, als läge auf ihnen die Last der ganzen Welt, schleppte er sich hinaus, legte eine zitternde, schweißfeuchte Hand auf den Knauf zum Nachbarbeichtstuhl, seufzte zum Gotterbarmen und öffnete schließlich die Kammer.
    Dieses Mal erschrak er nicht, als er den langen, lockigen Zopf auf der Bank liegen sah. Er stöhnte laut auf, packte die braunen Haare, schaffte sie in die Sakristei und legte sie zu den beiden Kopfschwarten in die Krippe. Dann trank er einen großen Becher Messwein, der ihm so sauer wie Essig aufstieß, schleppte sich hinüber zum Pfarrhaus und begab sich wortlos und ohne auf Gustelies’ Reden zu achten in seine Stube.
     
    Richter Blettner hockte hinter seinem Schreibtisch im Malefizamt und wusste nicht, ob er froh oder bitter enttäuscht sein sollte. Krafft von Elckershausen hatte eben höchstpersönlich des Richters Abschlussbericht abgeholt.
    «Wir sind uns doch einig, mein Freund?», hatte er gefragt. «Wir müssen unsere Stadt schützen. Politik verlangt immer Opfer. Wir haben noch Glück; die Frau war schon tot. Versteht Ihr mich, mein Lieber?»
    Richter Blettner hatte genickt. Dann war der Schultheiß verschwunden, und in Blettner blieb ein Gefühl zurück, das ihm ganz und gar nicht behagte. Irgendetwas in ihm sträubte sich noch immer, die Tote als ein Wolfsopfer zu sehen. Richter Blettner riss sich nicht gerade um Arbeit, aber dieses Mal ging es um eine Schwangere. Und schwanger war auch seine Frau.
    Wieder und wieder schlich ein Gedanke durch seinen Kopf, den er nicht zu fassen bekam, doch von dem er wusste, dass er wichtig war. Und dann noch die Magd der Seifensieder. Richter Blettner war schon zu lange im Amt, um an solche Zufälle zu glauben. Zwei Schwangere. Eine tot, die andere

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