Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
sah aus wie ein frischgepflügter Acker nach einem Hagelschlag. Dann zog sie das Kleid hinauf bis über die Brüste, die aus dem Mieder gerutscht waren. Während die Henkersfrau alles wieder an die richtige Stelle schob, erblickte Hella die schlaffen, von Striemen durchzogenen Brüste, die aussahen wie die Waden eines Greises. Hella wollte sich gerade abwenden, als die Henkerin ihre Kleider fallen ließ und in ihre Richtung schaute.
«Gott zum Gruße», rief Hella.
«Gott zum Gruße auch Euch, Richtersfrau», erwiderte die Henkerin. «Seht Euch nur vor. Nach sechs Kindern könnt auch Ihr Euer Wasser nicht mehr halten. Da muss es manchmal schnell gehen. Bis zum Austritt hätte ich es nicht mehr geschafft.» Sie kicherte verlegen und sprach sofort weiter. «Wie geht es Euch? Seid Ihr auf dem Weg zu uns? Wartet, gleich komme ich und mache das Tor weit auf.»
Bevor Hella widersprechen konnte, eilte die Frau schon zum Tor.
«Henkerin, eigentlich wollte ich nichts von Euch. Jedenfalls nichts Besonderes. Nachher komme ich ohnehin noch einmal vorbei. Wenn der Meine und der Eure sich noch einmal die Tote vom Main anschauen», erklärte Hella der Frau, die mittlerweile im offenen Tor stand.
«Tja, das arme Ding.» Das Gesicht der Henkersfrau legte sich in Falten.
«Ihr wisst nicht zufällig, wer sie war?»
«Merkwürdig, dass Ihr das fragt, Richtersfrau. Mich fragt nämlich nie jemand nach irgendetwas. Die Henkersfrau ist eine unsichtbare Person, scheint mir. Selbst hier in der Vorstadt haben die Leute Angst, mich zu berühren oder mit mir zu sprechen. Auch ich gelte als unrein.»
Hella lächelte. «Ihr seid nicht reiner oder unreiner als alle anderen Menschen auch. Der Meine gibt dem Euren die Hand, und dann kommt er nach Hause und küsst mich mit Lippen, die nur einen Fingerbreit über einer Leiche hingen. Seit Jahren geht das schon so. Mein Vater hielt es nicht anders. Und was ist passiert? Nichts. Kümmert Euch nicht um das Geschwätz der anderen.»
«Ach, Geschwätz», jammerte die Henkersfrau. «Wenn ich doch nur manchmal ein wenig schwätzen könnte. Der Meine sagt ja kaum einmal ein Wort. Und die anderen halten sich von mir fern. Manchmal rede ich schon mit mir selbst, damit mir das Maul nicht einrostet.»
Hella nickte verstehend. Sie hatte schon Angst, dass ihr das Maul einrostete, wenn sie einmal eine Stunde lang nichts sagte.
«Und?», fragte sie weiter. «Kennt Ihr die Tote?»
«Ich bin mir nicht sicher», erklärte die Henkerin. «Aber gesehen habe ich eine, die aussah wie sie. Und einen dicken Bauch hatte sie auch.»
Hella hielt den Atem an. «Wo habt Ihr sie gesehen? Und wann war das?»
Die Henkerin verschränkte die Arme und sah nachdenklich in die Luft. «Lasst mich nachdenken. Es muss im Jänner gewesen sein. Nach der großen Kälte, wisst Ihr. Meine Kinder hatten sich die Hände und Wangen blutig gekratzt, weil der Wind ihnen so in die Haut gebissen hat. Ich bin zur Kräuterfrau gegangen und habe nach einem Mittel gefragt. Eine Salbe wollte ich, eine fette, mit Arnika und Ringelblumen. Aber das Weib wollte mir eine andere aufschwatzen. Eine, die so viel kosten sollte wie eine schlachtreife Gans. Na, da kam mir der Gedanke, ich könnte den Kindern auch gleich Gänsefett draufschmieren.»
«Und?»
«Es hat geholfen, das Gänsefett. Nach einer Woche war die Haut wieder, wie sie sein sollte. Aber die andere Salbe, auf die schwöre ich.»
«Was für eine andere Salbe?»
«Habt Ihr meinen Leib nicht gesehen? Ich war sechsmal schwanger. Alles an mir ist ausgeleiert, schlimmer als bei einem alten Weinschlauch. Na ja, noch wisst Ihr nicht, wovon ich rede.»
«Die Striemen auf Eurem Leib?»
Die Henkerin nickte vertraulich. «Diese auch. Aber dann noch etwas anderes. Ihr wisst ja, wo die Kinder herkommen. Und auch da ist nicht mehr alles so straff, wie es bei einer Jungfrau ist. Der Alte will trotzdem seinen Spaß haben. Dafür die Salbe. Und ich versichere Euch, die hilft wirklich. Meine Streifen sind schon weit zurückgegangen. Ich sehe wieder aus wie nach dem ersten Kind. Und das andere erst!» Wieder kicherte sie verlegen.
«Das freut mich für Euch», erklärte Hella peinlich berührt. «Aber was hat das mit der fremden Toten zu tun?»
«Als ich von dort ging, im Kopf schon auf der Suche nach dem Gänseschmalz, da ist mir die Frau, die Tote also, entgegengekommen. Ich habe mir nichts dabei gedacht, denn sie hat ja noch gelebt. Jede Frau braucht hin und wieder Kräuter. Und eine Schwangere
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