Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
Haustür, und ein Richtersgehalt reicht nicht einmal aus, um in jedes Schrankfach ein Lavendelkissen zu legen.
Sie klopfte noch einmal.
«Ja, ja, ich komme doch schon», erklang es von innen.
Hella streckte die Schultern und erwartete, dass die Tür von einem alten, gebückten Weib geöffnet wurde. Als die Hausherrin aber plötzlich neben ihr stand, erschrak sie so sehr, dass sie einen Schritt zurücksetzte.
Vor ihr stand eine nicht mehr ganz junge Frau, deren Gesicht vor Gesundheit und Kraft nur so strotzte. Die Frau musste die dreißig längst erreicht haben, doch in ihrem Gesicht zeigte sich keine Falte. Die Lippen waren prall und rot wie bei einem Neugeborenen, die Augen strahlten wie die einer Verliebten, und das Haar, welches ihr bis zu den Hüften hinunter reichte, glänzte wie die Abendsonne auf einem Kupferdach.
«Ihr seid erstaunt, meine Liebe?», fragte das Kräuterweib mit singender Stimme. «Entschuldigt, ich hätte Euch gleich sagen sollen, dass ich nicht zur Haustür hinauskomme. Ich war im Anbau und habe in einem Sud mit Kräutern gerührt.» Sie lachte ein glockenhelles Lachen, nahm Hella wie eine alte Freundin beim Arm. «Lasst uns zu mir hineingehen», sprach sie weiter. «Ihr seid ganz durchgefroren. Ich werde Euch einen Trank geben.»
Noch immer verblüfft folgte Hella der Frau, angezogen von deren Ausstrahlung, als hinge sie an Fäden.
«Setzt Euch, meine Liebe. Macht es Euch bequem.» Die Kräuterfrau deutete auf einen gepolsterten Stuhl. «Ich hole Euch nur ein Kissen für den Rücken.»
Sprachlos nickte Hella. So aufmerksam war sonst nicht einmal ihr Mann. Ein Kissen für den Rücken.
Schon kam die Frau zurück, sorgte dafür, dass Hella alle Bequemlichkeit der Welt hatte.
«Ich habe mich noch nicht vorgestellt. Minerva ist mein Name.» Sie lachte. «Das bedeutet ‹Geist›. Minerva war bei den alten Römern eine Göttin und die Schutzheilige von Rom. Oh, mein Vater ist ein gelehrter Mann, der mit den alten Sprachen auf Duzfuß steht. Aber was führt Euch zu mir? Hat Euch wer geschickt?»
«Äh … ja», stotterte Hella und blickte auf ein Regal, in dem ein halbes Dutzend in Leder gebundene Bücher, ein ungeheuerlicher Reichtum, stand. Minerva folgte ihren Blicken. «Ich sagte ja, mein Vater ist ein Gelehrter. Ich habe die Bücher von ihm.»
Hella nickte. «Die Henkersfrau hat mich geschickt. Ich komme um ein paar Tropfen für die Verdauung. Das Kind, wisst Ihr, es liegt wohl im Augenblick auf einer Stelle, die mir einiges abschnürt.»
«Ihr habt Verstopfungen?»
Hella wedelte mit der Hand zum Zeichen, dass ein solch klarer Ausdruck ihr nicht sehr behagte.
«Einen kleinen Augenblick, ich hole Euch etwas.»
Minerva sprang auf und verließ die Stube. Hella schöpfte tief Luft und sah sich um. Auch im Inneren der Kate sah es lange nicht so ärmlich aus, wie sie erwartet hatte. Der Stuhl, auf dem sie saß, war gut gepolstert, auf einer Bank lag ein feines, sauberes Lammfell. Der Kessel über dem Herd war aus Kupfer, und auf dem Boden lag ein geknüpfter Teppich. Alles hier drinnen erinnerte an eine gutbürgerliche Behausung, die mit Geschmack und Geld eingerichtet worden war.
«Da habt Ihr die Tropfen. Nehmt vor dem Schlafengehen zehn Stück mit einem Löffel Honig. Dann sollte alles mit Euch ins Reine kommen.»
Hella betrachtete das dunkle Fläschchen. «Kann ich sie wirklich unbesorgt nehmen?», fragte sie. «Ich bin schwanger und will dem Kind nicht schaden.»
«Seid ganz ruhig. Ich habe ein kleines Wurzelstück der Christrose ausgekocht und den Extrakt mit sehr viel Wasser verdünnt. Eurem Kind geschieht nichts. Habt keine Angst. Viele Schwangere kommen mit ihren Sorgen und Nöten zu mir.»
«Ja», sagte Hella. «Ich habe davon gehört. Die Henkersfrau sagt, Ihr habt wahre Wunder an ihr gewirkt.»
Minerva lachte. «Was meint sie damit?»
Hella schluckte. «Nun, ich habe durch Zufall ihren nackten Leib gesehen. Und auch die Brüste. Um ehrlich zu sein, ich war erschrocken. Das Henkersweib ließ durchblicken, dass ihr Leib früher noch mehr einem Hagelschaden glich, aber Ihr hättet ihr eine Salbe gegeben, die das Schlimmste zurückgenommen hat.»
Hella war bei diesen Worten leicht errötet und hatte sich unabsichtlich über ihren Bauch gestrichen.
Minerva, die sich ihr gegenüber auf einen Stuhl gesetzt hatte, beugte sich nach vorn und nahm Hellas Hand in die ihre.
«Ihr habt jetzt Angst, dass Ihr auch so ausseht, wenn Euer Kind erst geboren ist?», fragte sie
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