Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
gute, brave Leute, die ein Erbarmen mit den winzigen Menschlein haben und sie zu sich nehmen.»
«Gab es in den letzten beiden Wochen weitere Säuglinge, die Ihr vermittelt habt?»
Vater Raphael hob die Hände. «Nein, bei Gott, keinen einzigen. Im Übrigen übernimmt die Vermittlung stets ein Pater oder Pfarrer. Dazu ein Advocat. Mit dem Schriftkram kennen wir uns nicht aus, aber wir wollen, dass alles seine Ordnung hat.»
«Ich verstehe», erwiderte Gustelies und schoss wütende Blicke durch den Flur.
Jutta aber tätschelte den Ärmel von Vater Raphael. «Ich bin sicher, die Menschen hier in Sachsenhausen halten Euch und Euer Haus für einen Segen.»
«So ist es», bestätigte der Mann. «Seid Ihr nun fertig mit der Fragerei?»
Jutta nickte, dann packte sie Gustelies am Arm. «Ich glaube, wir haben genug gesehen. Habt recht vielen Dank, Vater, dass Ihr uns Einblick in Eure Arbeit gewährt habt.»
«Gern geschehen.» Wieder strafte der Gesichtsausdruck Raphaels seine Worte Lügen.
Er begleitete die Frauen zum Tor und wünschte Gottes Segen. Kaum vor der Tür, hörten sie, wie ein Riegel nachdrücklich vorgeschoben wurde.
Jutta zog Gustelies ein paar Schritte weiter. «Was hältst du davon?»
Gustelies stülpte die Unterlippe vor. «Hier ist irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung.»
«Ja», bestätigte Jutta. «Irgendetwas ist hier faul. Und ich hätte noch viele Fragen an Vater Raphael gehabt.»
«Ich auch, meine Liebe. Aber die Antworten, die holen wir uns lieber selbst. Und jetzt lass uns zum Henkershaus gehen.»
Jutta verharrte. «Am liebsten würde ich den Evangelischen gleich aufsuchen. Und den Katholischen danach. Es wäre interessant zu wissen, wie viele Kinder heute in der Messe waren. Und interessant wäre es auch, zu wissen, wer wann welche Säuglinge wohin vermittelt hat.»
Gustelies schüttelte den Kopf. «Kein guter Zeitpunkt. Wir müssen zum Henkershaus. Und außerdem sind die Gottesdienste am Ende noch in vollem Gange. Für den Kirchenbesuch der Findlinge gibt es genügend Zeugen. Da kann nichts vertuscht werden. Es reicht, wenn wir uns nächste Woche darum kümmern. Und die Vermittlungen werden, wie Vater Raphael schon sagte, von einem Advocatus aufgezeichnet. Heinz dürfte mit Sicherheit an die Unterlagen herankommen. Wir dagegen nicht.»
«Aber nur», fügte Jutta Hinterer an, «wenn Vater Raphael nicht doch auf eigene Rechnung und ohne einen Juristen die Säuglinge verhökert.»
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Kapitel 14
H ella hasste die trüben Frühmärztage, die einen spüren ließen, dass der Winter sich noch nicht endgültig in die rauen Berge verzogen hatte, sondern jederzeit bereit war, noch einmal mit Schnee und Kälte zurückzukommen. Aber es waren weder Schnee noch Kälte, die Hella den Frühling so inbrünstig herbeisehnen ließen, sondern es war die Abwesenheit von Farben. Seit Monaten, schien ihr, war alles um sie herum nur ein einziges Grau. Der Himmel, die Häuser, die Menschen, sogar der Main. Selbst die Gespräche auf dem Markt oder auf der Gasse hatten für sie etwas Graues an sich. Ein jeder klagte über das Reißen in den Knochen, den Husten, der einfach nicht besser werden wollte, über undichte Fenster, beklemmendes Heulen im Kamin und klamme Bettfedern.
Und hier in der Vorstadt war das Grau besonders schlimm. Es lugte aus jeder wackligen Kate, es lag wie ein Teppich über den verschlammten Wegen, hing wie ein Vorhang in der Luft. Selbst die Gesichter der Menschen hier hatten eine Farbe, die an grauen Brei erinnerte.
Hella legte eine Hand auf ihren gewölbten Leib. Nur keine Angst, mein Kleines, sprach sie in Gedanken zu ihrem Ungeborenen. Wenn du das Licht der Welt erblickst, dann werden die Bäume blühen, dann wird der Himmel blau sein und die Luft mild. Hab noch ein bisschen Geduld, bald wird alles besser.
In ihrem Hinterkopf aber saß ein grauer Wintergeist, der ungläubig den Kopf schüttelte. Woher willst du wissen, dass alles besser wird, fragte er. Vielleicht, meine Liebe, wird auch alles nur noch schlimmer.
Hella sah sich hastig nach allen Seiten um. Sie wollte diesen grauen Kobold, der seit Beginn der Schwangerschaft in ihrem Kopf hauste, nicht hören. Als sie über die Mauer des Henkers schaute, erblickte sie dessen Frau, die gerade die Röcke raffte und im Garten unter einem Apfelbaum ihr Wasser ließ.
Hella wollte sich abwenden, aber in diesem Augenblick ging das Weib in die Höhe und ermöglichte einen ungehinderten Blick auf ihren Bauch. Der
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