Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
sowieso.»
«Seid Ihr sicher, dass sie es war?»
Die Henkerin nickte. «Ziemlich sicher. Ich habe mich nämlich über ihre Kleidung gewundert.»
«Wieso das? Wie war sie denn angezogen?»
«Merkwürdig. Nicht so wie die Frauen aus der Stadt, aber auch nicht wie die einfachen Leute von hier. Wisst Ihr, das Kleid war so schlicht geschnitten wie das einer Nonne. Auch der Stoff war grau. Aber es war so eng, dass man jeden Körperteil darunter sehen konnte. Fast schon unzüchtig. Und der Schleier bedeckte zwar einen Teil ihres Haares, aber an den Seiten lugten gedrehte Locken hervor.» Die Henkerin schüttelte den Kopf. «Sie war eine Nonne und eine Hure zugleich. Versteht Ihr? Ein schlichtes Gewand über drallen Schenkeln.»
«Merkwürdig. Wirklich merkwürdig», bestätigte Hella. «Wer oder was könnte so eine denn sein?»
«Ich dachte mir zuerst, dass sie vielleicht von weit her käme. Aus dem Italienischen. Man hört ja immer wieder von den losen Sitten dort. Warum sollten also die Nonnen von Florenz keine engen Kleider tragen? Aber dann hörte ich, wie sie die Kräuterfrau begrüßte.»
«Und wie lauteten die Worte?», drängte Hella und trat vor Aufregung von einem Bein auf das andere.
«Wenn mich nicht alles täuscht, so sagte die italienische Nonne: ‹Gott zum Gruße. Bei einem solchen Wetter jagt man weder Wutz noch Hinkel vor die Tür.›»
Hella riss die Augen auf. «Sie sagte ‹Wutz› und ‹Hinkel›?»
Die Henkerin nickte.
«‹Wutz› und ‹Hinkel›. Nicht gerade besonders italienisch», stellte Hella fest.
Die Henkersfrau kicherte. «Na ja, besser als Schwein und Huhn klingen Wutz und Hinkel allemal.»
«Da habt Ihr recht. Aber diese Ausdrücke benutzt man nur im Hessischen. Und vielleicht noch ein Stück den Rhein entlang. In Frankfurt sagt jeder Wutz statt Schwein und Hinkel statt Huhn. Das klingt ganz und gar nach einer von uns.» Hella sah sich um. «Wo wohnt die Kräuterfrau?», fragte sie.
Die Henkerin zeigte auf eine Hütte, die ein Stück entfernt und ein wenig abseits von den anderen stand. «Dort.»
«Und Ihr kennt das Weib gut?»
Bedächtig wiegte die Henkersfrau den Kopf von rechts nach links. «Was heißt schon gut? Sie wohnt hier, solange ich denken kann. Sie verkauft Kräuter, stellt Salben und Tinkturen her. Man sieht sie oft im Morgengrauen in Richtung Wald gehen. Und manchmal dringen seltsame Gerüche aus ihrem Haus. Einmal im Monat bekommt sie Besuch von einem gutgekleideten Herrn aus der Stadt. Der kommt am späten Abend. Ich weiß das nur, weil ich dem Meinen manchmal bei Dunkelheit helfen muss mit den Leichen. Ja, und da habe ich den Mann schon mehrmals gesehen.»
«Aber Ihr wisst nicht, wer er ist?»
«Nein. Bedaure.»
Hella seufzte. «Dann muss ich das wohl selbst herausfinden.»
Sie winkte der Henkerin zu und machte sich auf den Weg zu der Kate am Rande der Vorstadt. Auf dem Weg dorthin beschlich sie ein leises Unbehagen. Ihr Mann hatte ihr strikt verboten, irgendwohin zu gehen, ohne ihm etwas zu sagen. Mit dem Finger hatte er sogar gedroht, und in seiner Stimme hatte eine Strenge und Besorgnis geklungen, die sie sonst nicht an ihm kannte. Und Hella hatte versprochen, dieses eine Mal wirklich ein gehorsames Weib zu sein. Sie sah sich nach dem Henkershaus um. Wenn er jetzt um die Ecke kommt, dachte sie, dann werde ich umkehren. Doch niemand kam. Hella verharrte einen Augenblick auf der Stelle. Warum sollte ich denn nicht zu einer Kräuterfrau gehen, beruhigte sie sich selbst. Ich bin schwanger. Meine Verdauung liegt im Argen. Ich brauche ein paar Tropfen. Es ist zum Wohle des Kindes. Jede Schwangere sucht hin und wieder eine Kräuterfrau auf. Was ist schon dabei? Nichts, gar nichts.
So bestärkt lief sie das restliche Stück zur Kate und klopfte.
Von drinnen rief eine hohe Stimme: «Wartet, ich komme gleich.»
Hella trat einen Schritt zurück und sah sich um. Auf den ersten Blick wirkte die Kate wirklich jämmerlich. Das Holz war alt und machte einen verwitterten Eindruck. Aber die Fenster waren aus Glas und hatten neue Holzläden davor. Auch der Garten war sehr gepflegt, schon jetzt, im zeitigen Frühjahr, waren die Beete ordentlich abgesteckt.
Unter dem Türsturz hingen ein paar Sträuße getrockneten Lavendels und verbreiteten einen angenehmen Duft, der allerdings nicht ausreichte, einen anderen, sehr viel würzigeren, süßlich-klebrigen Geruch zu überdecken.
So eine Verschwendung, dachte Hella beim Anblick der Lavendelsträuße. Duft über der
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